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Kurator'in für: Europa Fundstücke Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953, geboren in Bünde/Westfalen. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Bielefeld und Marburg/Lahn ab 1989 Leiter des Industrie- und Sozialpfarramtes des Kirchenkreises Herne. Von 2007 bis 2009 Referent für Sozialethik an der Evangelischen Stadtakademie Bochum. Von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments (DIE LINKE). Mein persönliches Highlight im EP: Ich war Berichterstatter für die Zahlungskontenrichtlinie, die jedem legal in der EU lebenden Menschen das Recht auf ein Bankkonto garantiert. Seit 2014 freiberuflich tätig. Publizist. Diverse Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Publikationen, seit Dezember 2016 Herausgeber des Europa.blog und seit Juni 2020 auch Herausgeber des "Ruhrpott Podcast".
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Meine heutige Empfehlung ist nur eine kurze Nachricht. Aber die hat es in sich. Es geht um die schon länger andauernde Konkurrenz zwischen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Wenn es um die Frage zum Verhältnis von europäischem Recht und mitgliedsstaatlichem Recht geht, kommen vielen wahrscheinlich Polen und Ungarn als erste Mitgliedsländer in den Sinn. Dass die Bundesrepublik in dieser Frage ein ähnlich problematischer Kandidat ist, ist kaum bekannt.
In den Fokus ist das allerdings geraten, als das Bundesverfassungsgericht die Anleihenaufkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) für teilweise nicht vereinbar mit deutschem Recht erklärte. Die polnische und die ungarische Regierung haben diese Entscheidung mit Interesse zur Kenntnis genommen. Und wie Euractiv berichtet, hat die Entscheidung auch in anderen EU-Ländern zu Diskussionen über das Verhältnis von EU-Recht zu mitgliedsstaatlichem Recht geführt.
Aufgrund seiner dominanten Rolle in der EU könnte eine Weigerung Deutschlands, das EU-Recht als dem mitgliedsstaatlichen Recht übergeordnet anzuerkennen, zu einer Erosion der EU führen. Deshalb hat die EU-Kommission als Antwort auf die Entscheidung des BVerfG ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik gestartet.
Dieses Verfahren ist nun, wie Euractiv berichtet, seitens der EU-Kommission eingestellt worden. Grund dafür ist die Zusicherung der Bundesregierung, das EU-Recht als dem mitgliedsstaatlichen Recht übergeordnet anzuerkennen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu wahren.
Das klingt gut und sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Nur: Zur Rechtsstaatlichkeit gehört die Unabhängigkeit der Justiz, also auch des BVerfG. Die Bundesregierung kann also dem Bundesverfassungsgericht gar keine Weisungen erteilen. Denn dann wäre die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gegeben – zumindest nicht mehr in vollem Umfang. Wie in Polen und Ungarn.
Am 25. Oktober 2018 Urteilte der EuGH, dass die zur evangelischen Kirche gehörende Diakonie bei normalen Arbeitstätigkeiten christliche Bewerberinnen nicht prinzipiell bevorzugen dürfe, weil das gegen die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie verstößt. Daraufhin hat die Diakonie eine Klage gegen diese Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht mit der Begründung, die EU dürfe sich nicht in das deutsche kirchliche Arbeitsrecht einmischen. Diese Angelegenheit ist noch nicht entschieden. Mensch darf gespannt sein auf den Ausgang. Die Diakonie betreibt hier das gleiche Geschäft wie die polnische und ungarische Regierung – also eine Erosion der EU. Die Bundesregierung hat der EU-Kommission zugesagt, dass es so etwas aus Deutschland aber nicht geben wird. Ob sich das Bundesverfassungsgericht nun an diesem politischen Versprechen der Bundesregierung orientieren wird, werden die nächsten Monate zeigen. Sich daran zu orientieren, steht dem BVerfG frei, aber in einem Rechtsstaat kann eine Regierung einem Gericht keine Vorgaben und Weisungen für seine Urteile erteilen.
Jetzt ist meine Leseempfehlung zwar länger als der empfohlene Artikel. Aber zur Einordnung dieser unscheinbaren Nachricht schien mir das nötig zu sein. Meines Erachtens können die polnische und die ungarische Regierung die EU zwar provozieren und streckenweise auch blockieren. Aber sie haben wohl kaum das Potenzial, die EU zur Implosion zu bringen. Deutschland hingegen hat das Potenzial, mit solchen Entscheidungen die EU ins Wanken zu bringen.
Ergänzung vom 08.12.2021
Ich will hier noch kurz auf die Veröffentlichung der deutschen Repräsentation der EU-Kommission zur Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens hinweisen. Darin heißt es:
Die Kommission hält es aus drei Gründen für angebracht, das Vertragsverletzungsverfahren einzustellen:
Erstens hat Deutschland in seiner Antwort auf das Aufforderungsschreiben sehr klare Zusagen gemacht. Insbesondere hat Deutschland förmlich erklärt, dass es die Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie die in Artikel 2 EUV verankerten Werte, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit, bekräftigt und anerkennt.
Zweitens erkennt Deutschland ausdrücklich die Autorität des Gerichtshofs der Europäischen Union an, dessen Entscheidungen rechtskräftig und bindend sind. Das Land ist ferner der Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane nicht von der Prüfung von Verfassungsbeschwerden vor deutschen Gerichten abhängig gemacht, sondern nur vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden kann.
Drittens verpflichtet sich die deutsche Regierung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihre in den Verträgen verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires-Feststellung aktiv zu vermeiden.
Bei "Ultra-vires-Feststellungen" geht es um die Frage, ob die EU-Kommission mit ihren Rechtsakten ihre Kompetenzen überschritten hat. Solche Überprüfungen zukünftig vermeiden zu wollen, ist schon eine hinterfragungswürdige Aussage.
Quelle: Euractiv Bild: ARMANDO BABANI/EPA www.euractiv.de
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Ich verstehe die Diskussion auch nicht. Es gibt doch in Deutschland zwischen den Gerichten auch eine Hierarchie. Das Bundesverfassungsgericht kann ja auch die Urteile eine Verwaltungsgerichtes kassieren. Kann nicht die Hierarchie neu geordnet werden? Das wäre doch eine politische Aufgabe.
Ich verstehe die Diskussion nicht wirklich. Wenn ein Parlament für sein Land den Mitgliedsverrag mit verfassungsgebender Mehrheit (oder sogar einer Volksabstimmung) beschließt, dann ist auch das jeweilige Verfassungsgericht an die neue Verfassungswirklichkeit gebunden. Das Verfassungsgericht ist zwar unabhängig, aber nicht unabhängig von Verfassungsänderungen. Und dann macht es schon Sinn, dass die Bundesregierung der EU versichert, dass sich Deutschland an seine Vertragspflichten halten wird. Der Skandal ist eigentlich, dass sich Karlsruhe ein Urteil angemaßt hat, das ihm nicht zusteht.