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Flucht und Einwanderung

Unpiq: Tellkamp will spalten und wird zum Frontmann einer neuen Rechten

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
Zum Kurator'innen-Profil
Achim EngelbergSonntag, 11.03.2018

Die meisten (Flüchtlinge) fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.

So der Buchpreisträger Uwe Tellkamp. Das war kein Versprecher, er bemitleidete sogar Sarrazin und das nicht zum ersten Mal:

Gucken Sie sich Sarrazin an, was dem Mann angetan wurde!

Schon Widerspruch ist nicht gewünscht, über die Flüchtlinge und Migranten wollen die neuen Rechten die Gesellschaft weiter spalten und eine autoritäre Herrschaft errichten.

Dazu bemerkt Dirk Knipphals (taz):

Auf der rechten Seite wurde die Empörung schnell genutzt, um die Mär vom Gesinnungstotalitarismus zu verbreiten, als würde zur Meinungsfreiheit gehören, dass alle Menschen dann zu applaudieren haben.

Der Suhrkamp-Verlag distanzierte sich nämlich von seinem Autor, dessen Äußerungen nun wirklich nicht in der Tradition des Hauses stehen.

Hört man Tellkamps Meinungen (es gibt einen Mitschnitt auf youtube), so sind sie weitgehend falsch und nicht diskussionswürdig. Einen wahren Kern benennt Jens Bisky (SZ):

Ein Leitmotiv Tellkamps war die Verachtung, die in vielen Kommentaren den Ostdeutschen entgegenschlägt. Aber muss man sich davon zum Klischee-Ossi machen lassen?

Einige Beobachter zeigen sich verwundert, warum Suhrkamp im Fall der Äußerungen von Peter Handke über Jugoslawien nicht ähnlich reagierte. Diese waren einseitig, aber immer diskussionswürdig.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-ganz-spezieller-fluch

Tilman Krause, der unlängst einen inkompetenten Artikel über die 68er publizierte, palavert was von der Gefahr der Gesinnungsdiktatur.

Wenig bis gar nicht kommt in der Diskussion ein Hauptmotiv der Flucht vor: Ein ungerechtes Wirtschaftssystem, das für viele als nicht zu verändern gilt. So bleibt Flucht und Migration die einzige Hoffnung.

Und bis zum heutigen Tage benötigt auch das Wirtschaftssystem der reichen Länder Westeuropas billige Arbeitsmigranten, die oft ihre Familien in den Herkunftsländern unterstützen.

Unpiq: Tellkamp will spalten und wird zum Frontmann einer neuen Rechten

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Kommentare 11
  1. nelson paul
    nelson paul · vor einem Monat

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  2. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor mehr als 6 Jahre

    Das Gute an solchen Debattenbeiträgen ist, dass sie vielleicht eine echte Debatte ermöglichen. Wenn ein prominenter Kopf, der keineswegs töricht ist, eine Position vertritt, die einem selbst nicht schmeckt, dann ist man gezwungen, sich damit in etwas tiefsinnigerer Weise auseinanderzusetzen. Wenn die der extreme Flügel der AfD sich so äußert, tun wir Linksliberale es schnell ab. Wenn ein Buchpreisträger sich so äußert, geht es vielleicht nicht ganz so schnell.
    Dass Intellektuelle rechts wie links gerne dummes Zeug reden, ist eine sehr alte Geschichte. Das reicht von der Verteidigung des Ersten Weltkriegs durch die deutsche Intelligenzija über das nachhaltige Lob für Stalin durch Einstein und Sartre bis zu Peter Handkes Enthusiasmus für Serbien im Jugoslawien-Krieg.
    Intellektuelle haben wahrscheinlich kein besseres politisches Urteilsvermögen als der Durchschnittsbürger. Aber immerhin bringen sie manchmal eine Debatte in Gang. Das Ist keine schlechte Funktion.
    Hier ein Zusammenschnitt der Äußerungen Tellkamps:
    https://www.nzz.ch/feu...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      Deine Hoffnung auf eine Debatte in allen Ehren, aber die Grundlage für eine Auseinandersetzung ist ziemlich schief und krumm.

      Außerdem würde ich nicht alles über einen Kamm scheren.

      Wir haben die kriegsbegeisterten deutschsprachigen Schriftsteller, aber es gab eben auch Heinrich Mann und Karl Kraus. Letzter schrieb mit DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT eines der bedeutenden und bleibenden Werke über den Krieg. Intellektuelle irren, aber sie schaffen eben auch so etwas.

      Nachhaltig war das Stalin-Lob von Sartre nicht. Schon bald korrigierte er seinen Irrtum und schrieb ein bis heute gespieltes Theaterstück, dass den Verfolgungswahn im Stalinismus zeigt, und immer noch lesenswerte Essays. Der sowjetische Kulturminister diffamierte ihn daraufhin als "Hyäne an der Schreibmaschine".

      Bei Handke liegen die Dinge auch etwas anders; deshalb postete ich einen Link.

      Nochmals am Ende: Ich bin auch für eine breite Debatte.

    2. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor mehr als 6 Jahre

      @Achim Engelberg Da hast Du völlig Recht. Sartre hat es 1956, immerhin schon drei Jahre nach Stalins Tod, geschafft, sich von diesem zu distanzieren. Um es mit Ralf Dahrendorf zu sagen: "Sartre hingegen hatte die Fähigkeit, ein bisschen auf allen Stühlen, wenn auch meist nur auf deren Kante, zu sitzen."

      Bringt uns an dieser Stelle aber leider nicht weiter ...

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      @Georg Wallwitz Nie habe ich das falsche Datum 1956 genannt. Die Sowjetunion griff Jean-Paul Sartre bereits 1948 (!) an - als wie ich bereits oben zitiere "Hyäne an der Schreibmaschiene".

      Der Grund: Am 2. April 1948 ist sein antistalinistischen Stück DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE uraufgeführt worden.
      Es gab wenige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg in der allgemeinen Irritation - am 10. Februar 1946 wurde ein Pariser Bahnhof in Stalingrad umbenannt und so heißt er bis heute - einige prostalinistische Äußerungen.
      Doch Sartre erkannte das System schnell, beschrieb es, Schauspieler probten seine stimmigen Szenen und bereits im ersten Halbjahr 1948 kam sein Stück zur Uraufführung. Es erwies sich als so kräftig, dass es bis heute immer wieder gespielt wird. Ich sah es zuerst 1990 in Köln; momentan wird es u. a. am Deutschen Theater in Berlin gespielt:
      https://www.deutschest...

      Um zu Tellkamp zurückzufinden: Bei Sartre gibt es in einigen Essays falsche Schätzungen zum Ausmaß der Lagerwelt in der Sowjetunion, aber es wurde erst sieben (!) Jahre nach seinem Tod ein Teil der Archive geöffnet.

      Tellkamp dagegen benutzt falsche Angaben, die man leicht korrigieren kann - wenn man nicht nur diffamieren will. Man kann zum Beispiel die auf diesem Kanal geposteten Angaben lesen und vergleichen!

      Keiner der von Dir genannten Personen hat jemals etwas mit Tellkamp Vergleichbares gemacht. Das bringt uns, so denke ich, durchaus bei der Einschätzung weiter.

    4. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor mehr als 6 Jahre

      @Achim Engelberg Zweierlei möchte ich gleich mal festhalten: Du kennst Dich viel besser mit Sartre aus als ich. Und hier geht es (glaube ich) um meine Bemerkung, dass sich Intellektuelle vom Kaliber Tellkamps gerne auch mal vergaloppieren, auch in ihren politischen Einschätzungen.
      Ich hatte nie vor, eine Sartre-Debatte zu führen. Da bin ich nicht kompetent. Und es ist für mein Argument auch nicht relevant, ob Sartre 10 oder 20 Jahre gebraucht hat, um nach den Moskauer Schauprozessen und den Millionen von Toten in der Ukraine auf die Idee zu kommen, dass mit Stalin etwas nicht stimmt.
      Wir können gerne weiter über Sartre diskutieren (Du sehr kompetent, ich leider nur als Statist), dann wahrscheinlich nur, um zu zeigen, wie leicht Intellektuelle sich vergalloppieren - und damit würden wunderschön auf einer Metaebene mein Argument illustrieren.

      In der nächsten Runde komme ich dann wahrscheinlich mit dem bereits erwähnten Einstein daher, der sich nie vom Stalin lösen mochte (was hat Einstein noch gleich mit Tellkamp zu tun?).
      Bin für jede Albernheit zu haben!

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      @Georg Wallwitz Wir alle vergaloppieren uns.

      Allerdings Sartre brauchte im Fall von Stalin nicht zehn oder zwanzig Jahre, sondern deutlich weniger. Ein bis zwei Jahre. In der Zeit der Hungertoten in der Ukraine war er kein Autor von Rang, dessen Meinung gehört wurde.

      Ob sich Einstein nie von Stalin lösen wollte oder konnte, ist nicht das Feld meines Wissen. Ich kann nur sagen, dass er im Verteidigungskomitee von Trotzki war. Das spricht zumindestens für eine Distanz.
      Im letzten Monat publizierte ich einen Essay zum 75. Jahrestag von Stalingrad. Kurz nach der Niederlage am 2. Februar 1943 sondierte die sowjetische Führung, ob man einen Separatfrieden mit Deutschland schließen könne, da die USA noch nicht die vereinbarte zweite Front errichtet hatten. In diesem Moment sprach Einstein, der am Manhattan-Projekt arbeitete, positiv von Stalin. Das war nicht falsch - auch von heute aus gesehen nicht.

      Geschichtliche Entscheidungen sind aber komplexer. Ich versuchte, es unlängst am Beispiel Brandt - Grass auf piqd darzustellen:
      https://www.piqd.de/se...

  3. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor mehr als 6 Jahre

    Jens Bisky nennt die Distanzierung des Suhrkamp-Verlages allerdings "überflüssig". Und er schreibt auch: "Es darf mehr Gespräche wie das in Dresden geben." www.sueddeutsche.de/ku...... Es wird unserer Gesellschaft nichts anderes als eine offene Debatte übrigbleiben. Man muss eben darauf vertrauen, dass sich am Ende nicht die hysterischen, sondern die besseren Argumente durchsetzen. Und da bin ich zuversichtlich.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      Danke für die Ergänzung. Ich musste kürzen, weil mein unpiq zu lang war. Ansonsten hätte ich die Position von Grünbein noch umrissen, der mitdiskutierte.
      Ob die Distanzierung überflüssig ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall widerspricht Tellkamps Position den Traditionen von Suhrkamp.

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 6 Jahre

      @Achim Engelberg Übrigens stammt die Angabe von 95 Prozent Wirtschaftsflüchtlingen direkt von einer Dresdner Pegida-Demonstration. Dass Tellkamp solche Zahlen unkritisch übernimmt, ist arg peinlich. http://www.sueddeutsch...

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      @Dirk Liesemer Danke für den Hinweis. So genauer man hinguckt, umso gruseliger wird es.
      Wahrscheinlich musste Suhrkamp reagieren.

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