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Kopf und Körper

Drogenkarriere als Qualifikation – ein Genesungsbegleiter erzählt

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykDienstag, 22.06.2021

Wer jahrelang an einer Suchtkrankheit gelitten hat, hat es nicht leicht, wieder in eine leistungsorientierte Gesellschaft integriert zu werden. Eigentlich ein mehr oder weniger chancenloses Unterfangen! Doch sie oder er hat auch ein Kapital, ein großes Kapital: Als Betroffene haben sie Zugänge, die Nicht-Suchtkranke häufig nicht haben. Der 54-Jährige Kai Gerullis lebte 30 Jahre lang mit Drogen, mit Kokain und auch mit Heroin. Finanziert hat er sein Suchtleben mit gewerbsmäßigem Diebstahl, hauptsächlich von Fahrrädern. Nun arbeitet er als Genesungsbegleiter in der Rostocker Forensik. Er bekommt Gehalt. Urlaub. Und ist ökonomisch abgesichert.

„Ich mach kein Geheimnis aus meinem Leben. Wer was wissen will, kann das gerne tun. Weil alle Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, kann ich eh nicht ändern. Aber ich kann dazu stehen und heute was besseres draus machen. Und genau das tue ich. Damit gebe ich was zurück.“

Birgit Völlm, seit 2018 Klinikleiterin in Rostock, war davor an Universitäten und Kliniken in Großbritannien beschäftigt. Dort sind Genesungsbegleiter/innen auch in der Forensik seit langem etabliert. Mich hat in dieser Sendung, die gern etwas mehr Reportage hätte sein können, fasziniert, dass Kai Gerullis eine notwendige Arbeit macht. Hier ist es nicht der Versuch von sozialen Organisationen, suchtkranke Menschen wieder in Arbeit zu integrieren. Dabei will ich die Arbeit von sozialen Organisationen keinesfalls schmälern. Doch einen Job zu bekommen, den nicht jede/r andere erfüllen kann, stärkt noch einmal auf andere Weise das Selbstbewusstsein der ehemaligen "Drogenabhängigen". Kai Gerullis Aufgabe ist wichtig für die Klinik. Er kriegt es hin,  Patienten zu öffnen. Manchmal grade auch diejenigen, die sich Berufstherapeutinnen oder Therapeuten vielleicht verschließen. Durch Gerullis schöpfen sie Mut, vielleicht mit der Zeit wirklich die Sucht lassen zu können. Wie der 47-jähriger Patient in der Rostocker Klinik. Er hatte sich davor jeglicher Therapie verweigert. Bis er eben Kai Gerullis traf:

"Auch wegen Herrn Gerullis Vorgeschichte, Betroffener halt, aber er ist auch eine Respektperson, sag ich mal so, oder Autoritätsperson."

Noch werden zu wenige Genesungsbegleiter/innen in Deutschland eingestellt. Leider, kann man jedenfalls sagen, wenn man von den Studien in Großbritannien erfährt. Als Genesungsbegleiter/innen werden in der Medizin Menschen eingesetzt, die dieselbe oder eine ähnliche psychiatrische Störung durchlebt haben wie die von ihnen betreuten Patientinnen oder Patienten – die es aber inzwischen schaffen ihr Leben erfolgreich zu meistern. Und damit könne eine bessere soziale Einbindung der Patientinnen und Patienten erreicht werden. Es würde anschließend seltener vorkommen, dass die Betroffenen erneut stationär behandelt werden müssten. Die Studien machen Mut.

Kai Gerullis jedenfalls macht diese Arbeit gern. Und so viele Leute können das von ihrer Arbeit ja nicht behaupten:

"Mein Leben hat an Qualität dazu gewonnen, jeden Tag. Ich hab ein festes Einkommen, bin dabei, meine Schulden zu regulieren. Das heißt, ich stehe mit beiden Beinen wieder fest im Leben. Und das, was ich hier weitergeben kann am eigenen Beispiel, das ist für mich Balsam auf die Seele. Ich mach hier quasi Therapie umsonst nochmal, jeden Tag. Und das fühlt sich einfach gut an."

Da kann man nur hoffen, dass vor allem auch die (Sucht)Kliniken in Deutschland bald mehr Genesungsbegleiter/innen einstellen. Zum Vorteil der gesamten Gesellschaft.


Drogenkarriere als Qualifikation – ein Genesungsbegleiter erzählt

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