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"Zwei Menschen kämpfen möglicherweise um ein Bett" – in Sachsen

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykMontag, 22.11.2021

Am Samstag werde ich aus beruflichen Gründen nach Sachsen reisen. Nach der Arbeit wollte ich einen schönen Abend in Dresden verbringen, am Tag danach in der sächsischen Schweiz mit meiner Frau wandern. Doch weit gefehlt. Touristische Reisen sind verboten. Also reise ich nach der Arbeit wieder nach Hause. Für mich nachvollziehbar, in dieser Situation. Also das Hotelzimmer stornieren. Antwort der Herberge: "Ich habe schon mitbekommen, dass ich wieder einmal Arbeitsverbot bekommen hab." Hm. Mir stellen sich viele Fragen. Zum Beispiel: Warum nur ist in Sachsen die Inzidenz wieder mal so hoch? Wieso ist die Impfquote in Sachsen am geringsten in Deutschland? Und nicht zuletzt: Was kommt möglicherweise in den nächsten Wochen auf Sachsen und auf uns zu?

Vorsichtige Antworten auf meine Fragen höre ich im Deutschlandfunk. Das Interview mit dem Präsidenten der sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, stimmt mich nachdenklich:

"Die Menschen in Sachsen sind – und das will ich an dieser Stelle schon sagen – schon immer sehr kritisch in ihrer Einstellung bezüglich vieler allgemeiner Situationen und sie sind aufgrund ihrer Kritik und aufgrund ihrer Kritikfähigkeit, aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund ihrer Erlebnisse vor allen Dingen in den sehr konservativen Teilen Sachsens dann auch sehr leicht empfänglich für manche Falschmeldung, und das wieder herauszukriegen ist dann schwierig. (...) Ich denke, es ist ungefähr die Hälfte bis ein Drittel Menschen, die nicht geimpft sind, die hier in die Praxis kommen, und es ist in der Tat sehr schwer. Das hängt immer davon ab, welche Einstellung der Mensch hat. Auf der einen Seite sind Sachargumente möglich zur Überzeugung; auf der anderen Seite sind manchmal auch Beispiele von schwererkrankten Menschen der Schlüssel zum Erfolg. Manchmal ist es beides. Manchmal sind es gute Worte. Oftmals ist es aber so, dass man die Menschen in der Tat abholen muss. Man muss sie abholen von dort, wo sie stehen. Das fällt schwer, das sind oft lange Gespräche, die sehr viel Zeit binden und die in den Praxisalltag oftmals nicht hineinpassen. Da wünschte ich mir schon mal ein schnelleres Aha-Erlebnis, aber das ist so und wir sollten trotzdem nicht nachlassen, immer wieder zu versuchen, die Menschen abzuholen."

Was mir wirklich an dem Interview gefällt, ist dass der Präsident der sächsischen Ärztekammer versucht, fair zu bleiben. Auch gegenüber Ungeimpften. Und die machen es einem aufgrund der stark steigenden Corona-Infektionen nicht leicht. Denn immerhin leiden viele Patientinnen und Patienten darunter, dass es für sie im Augenblick keinen Platz in manchen Kliniken gibt.

Erik Bodendieck weicht keiner Frage aus, auch nicht der Frage, die im Augenblick so sehr schmerzt: Wer darf überleben, wenn es nicht genügend Platz in den Kliniken gibt? Das ist alles kein Spaß. Man erinnert sich, wie im vergangenen Jahr Italien in der Situation war und wir mitgelitten haben. Gleichzeitig erleichtert waren, dass wir in Deutschland dieses Problem nicht hatten. Nun aber werden schon Patientinnen und Patienten von Bayern nach Italien gebracht, um dort behandelt zu werden. Weil Italien noch Intensivbetten freihat. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Immerhin: Europa funktioniert, zumindest auf diesem Gebiet. Aber wie geht es in den nächsten Wochen weiter in Sachsen?

"Nun kann man das aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen. Auf der einen Seite ist es so, dass wir mal ganz klar sagen müssen, dass die jetzige Situation hauptsächlich dadurch verursacht ist, dass wir so viele ungeimpfte Menschen haben. Die überwiegende Zahl derjenigen, die auf den Intensivstationen – und das ist das Maßgebliche eigentlich dabei – liegen, sind Menschen, die nicht geimpft sind. Wir wissen, dass die Impfung die Krankheit nicht verhindern kann. Wir wissen auch, dass Menschen, die ein etwas schwieriges Immunsystem haben, durchaus auch erkranken können und stationär behandlungsbedürftig sein können. Aber die Intensivstationen sind überwiegend mit denen belegt, die ungeimpft sind. Dort ist in der Tat das Problem und jetzt kann man sich entscheiden. Entweder man sagt, okay, man lässt es laufen. Das heißt aber, dass sehr viel mehr Menschen sterben werden. Ich sage an dieser Stelle, als Präsident der sächsischen Landesärztekammer werde ich am Donnerstag mit meinen ärztlichen Direktoren in Sachsen ins Gespräch gehen, noch mal die strafrechtlichen, berufsethischen, berufsrechtlichen Relevanzen von Triage-Situationen durchsprechen und ihnen das erklären. Wir haben dazu eine eindeutige Meinung."

Es könnte richtig schlimm werden in den nächsten Tagen. Die Gefahr ist auch wirklich groß, dass sich die Stimmung zwischen Geimpften und Ungeimpften zuspitzen wird. Die Mediziner/innen auf der Intensivstation jedenfalls dürfen keinen Unterschied machen zwischen Geimpften und bewusst Ungeimpften. Egal, ob dies gerecht ist oder nicht:

"Ich denke aber, dass bei den Prognosen, die wir haben, es durchaus, wenn wir wirklich einen ganz schlechten Verlauf haben und die Menschen nicht zur Ruhe kommen, in den nächsten Tagen in der Tat in die Überlastung so hineingehen, dass zwei Menschen möglicherweise „um ein Bett kämpfen müssen“, konkurrieren um ein Bett. Dort ist die Abwägung tatsächlich so, wer das bessere Überleben oder die bessere Aussicht auf Erfolg der Behandlung hat, der kommt dann an das Beatmungsgerät, und der andere muss dann sehen oder wird dann nicht beatmet. Das heißt, der Ungeimpfte hat auf alle Fälle, wenn er an die extrakorporale Beatmung muss, die sogenannte ECMO, eine sehr schlechte Überlebenschance."

"Zwei Menschen kämpfen möglicherweise um ein Bett" – in Sachsen

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Kommentare 3
  1. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

    Es gibt ja noch mehr Faktoren als das Alter, die eine medizinische Prognose beeinflussen. Die ethischen Kriterien aus der entsprechenden medizinischen Leitlinie und die Empfehlungen der Fachgesellschaften betonen auch, dass die Wünsche der Patient:innen entscheidend sind. Auch deshalb ist eine Patientenverfügung so ratsam.
    Dieser Beitrag fasst ganz gut zusammen, welche Faktoren alles berücksichtigt werden müssen https://www.deutschlan...
    Auf keinen Fall darf bei der Triage-Entscheidung Impfstatus, soziale Herkunft oder politische Einstellung eine Rolle spielen. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass das so sei, weil ja auch Gesundheitsprofis zuweilen privat (oder auf Social Media) ihren Frust rauslassen. Im medizinischen Alltag wäre das aber ein Behandlungsfehler, gegen den man rechtlich vorgehen könnte.
    Man muss sich aber klarmachen, dass Triage überhaupt nichts Neues oder Ungewöhnliches in der Medizin ist. Es gibt jeden Tag zum Beispiel weiche Triage, wenn sich medizinisches Personal zusammen mit Patient:innen oder Angehörigen dafür entscheidet, multimorbide Patient:innen nicht mehr ins Krankenhaus zu verlegen oder wenn sie Lebenszeit mit Lebensqualität abwägen.
    Was anderes ist es aber, wenn wie in Sachsen, offenbar jetzt Katastrophenmedizin gemacht werden muss. Dann ist nicht nur das Patientenwohl ein Entscheidungskriterium, sondern auch die Ressourcen. Das ist eine massive Veränderung der Perspektive (die es zT in anderen Ländern aber schon im Gesundheitsbetrieb unter Normalbedingungen gibt).
    Man muss sich klarmachen, dass vor allem Nicht-Covid-Patient:innen mit Covid-Erkrankten um die Ressourcen konkurrieren. Bereits jetzt ist das so bei planbaren OPs, bei der die mittelfristige und langfristige Prognose für die Betroffenen dadurch schlechter wird (Krebs, Transplanatationen). Aber wovor alle Angst haben ist ja, dass auch die Notfallversorgung nicht mehr klappt und Menschen mit Blinddarmdurchbrüchen und Herzinfarkten auf dem Weg zum nächsten freien "Bett" versterben. Vor diesem Szenario haben alle von Beginn der Pandemie an gewarnt. Das scheinen aber viele bis heute nicht ganz zu verstehen.

  2. Rüdiger Kladt
    Rüdiger Kladt · vor 3 Jahren

    Es wird schlicht und einfach so kommen, dass Ungeimpfte 50-jährige den 75-jährigen Pflegeheimbewohner:innen mit Impfdurchbruch vorgezogen werden, weil sie die bessere Prognose haben. Ich finde, wir sollten die frei getroffene Entscheidung der Ungeimpften respektieren. Auch das werden wir in Zukunft sicherlich noch diskutieren.

    1. Ferdinand H
      Ferdinand H · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

      Wenn wir dem Gedanken folgen, kommen wir aber in ein schwieriges ethisches Dilemma. Was machen wir dann mit den Rauchern, Übergewichtigen, Extremsportlern oder Alkoholikern? Auch diese haben sich bewusst für ein ungesundes Leben entschieden und werden trotzdem gleichberechtigt im Krankenhaus behandelt. Einziger Unterschied bei den Ungeimpften könnte sein, dass sie bewusst andere Gefährden oder das wir uns in einer weltweiten Notlage befinden.

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