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Liebe, Sex und Wir

Warum unser Begehren eben doch politisch ist

Theresa Lachner
Journalistin / Systemische Sexualberaterin / Gründerin von LVSTPRINZIP
Zum Kurator'innen-Profil
Theresa LachnerDienstag, 25.02.2020

Warum finden wir sexy, was wir sexy finden? Und ist das wirklich sooo schlimm, wenn wir nun mal auf größere Männer/dünnere Frauen/Menschen einer bestimmten Ethnie abfahren?

Dawn Serra sagt: Ja, denn wir müssen uns immer als Teil eines großen Ganzen wahrnehmen. Wir alle sehnen uns nach Zugehörigkeit, und fast alles, was wir tun, hängt damit zusammen, wie andere uns wahrnehmen und in welchen Systemen wir uns bewegen. Deshalb fühlen sich viele unserer Präferenzen – egal, ob es um das Essen geht, mit dem wir aufgewachsen sind, oder die Körpertypen, die wir begehrenswert finden – persönlich an, dabei sind sie ein Ausdruck des Systems, in dem wir leben.

The things most of us believe to be universally attractive or desirable are largely impacted by the fact that we’ve been TOLD we’re supposed to find them attractive and desirable. That message is beaten into us from every possible angle throughout our lives. Why? Because dominant systems and those with the most power make the most profit when we are collectively chasing and valuing certain things. It helps them to continue to hoard power and money.

Besonders sichtbar werden diese Systeme und das Begehren in ein paar Gedankenspielen. Dawn Serra schlägt uns vor, uns vorzustellen, was wohl passieren würde, wenn Brad Pitt mit einer sehr dicken, großen Frau an seiner Seite zu den Oscars gehen würde. Wir alle wissen, was passiert. Aber warum?

The people we partner with and fuck can increase or decrease our masculinity/femininity, our validity, and our social status. (...) We know we’re being judged based on who we surround ourselves with, who we date, and who we fuck.



Warum unser Begehren eben doch politisch ist

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Kommentare 11
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor fast 5 Jahre · bearbeitet vor fast 5 Jahre

    Ich dachte erst "Na lies das mal, was da wohl wieder für ein PC-Zeug stehen wird." aber es ist für mich ein sehr kluger Text, nicht schwarz-weiß gezeichnet, aufmerksam.
    Das berührt das Thema der "normativen Kraft des Faktischen", wobei das Faktische hier eben nicht das physisch Faktische ist, sondern die Medienwelt, die Welt der sozialen Werte. Besonders das Beispiel, in dem sich Präferenz/Aversionsgefühle innerhalb von zwanzig Minuten durch Betrachten von Bilder verschieben ließen hat mich getroffen.
    Mit manchem stimme ich nicht unbedingt überein, so etwa, dass die sexuelle Präferenz sehr vieler Männer für junge Frauen etwas mit deren vermuteter Kontrollierbarkeit zu tun hat. Ich sehe hier eher eine feste genetische Verdrahtung am Werk, aber das ist diskutierbar.
    Ich musste auch ein bischen an Marx denken: "Die herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden." - hier angewandt auf sexuelle Präferenzen.
    Was ich auch sehe ist ein Selbstverstärkungsmechanismus. Warum hat Hollywood dieses Stereotyp immer und immer wiederholt? Auch weil die Leute es sehen wollen, weil sie genau für diese Art von Filmen zahlen. Warum wolle die Leute das sehen? Weil es ihr Traum ist. Realität haben sie schon genug in ihrem eigenen Leben. Warum ist das ihr Traum? Weil sie diese Art Leute als reich und erfolgreich und mit interessanten Abenteuern versehen im Kino sehen. Ein Märchenland. Aber warum gerade dieses Märchen?
    Es ist ähnlich wie mit der Werbung. Dort wird keinerlei Abweichung vom Stereotyp geduldet. Warum? Es geht um Geld. Aber warum folgt das Geld den Stereotypen?
    Ihrem Plädoyer, nämlich zu versuchen, die gruppenbasierte Bewertung quasi zu subtrahieren und die eigene Erfahrung als solche zu erspüren, kann ich nur zustimmen - hier kann jede/jeder nur gewinnen.

  2. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor fast 5 Jahre

    Interessant ist, dass der Artikel die Frage aufwirft, ob wir ändern können, was uns anzieht, was wir attraktiv finden – ähnlich wie man beim Essen und Trinken Geschmäcker erwerben kann.

  3. Tobias Schwarz
    Tobias Schwarz · vor fast 5 Jahre

    Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was passieren würde, wenn Brad Pitt mit einer großen, dicken Frau zu den Oscars gehen würde. Außer dass es in Medien viele solcher Diskussionen geben würde, und dann wäre es irgendwann nicht mehr so spannend, käme das nächste Thema vorbei. So wie bei Emmanuel Macron und seiner älteren Frau. Das war 2016/17 ja auch ein Aufreger, und jetzt interessieren die Medien doch eher für die Gelbwesten-Proteste.

    Ich finde an dem Artikel total irritierend, wie die Autorin einerseits von Menschen als Individuen spricht und sie und ihr Begehren gleichzeitig aber auch wie reine Input-Output-Roboter anzusehen scheint, bei denen man nur an (meist medialen) Rädchen drehen muss, dann würde sich schon das aus ihrer Perspektive *gewünschte*, also nicht notwendigerweise *wahre* (ihr Wort) Begehrens-Resultat einstellen.

    Klar, die relative nature/nurture Frage, auf die ja auch dieser Aspekt zurückgeht, hat niemand bisher sauber beantworten können. Aber ist es gerade deswegen nicht der notwendige Konsens für jede Kritik an der Phänomenologie von Begehrensstrukturen und Diskussionen über ihre soziale Konsequenzen, die subjektive Realität von Individuen zumindest als *echt*/embodied zu verstehen? Dass auch sozial konstruierte Realität subjektiv *echt* ist, und nicht weniger *wahr* als andere? Sonst muss man doch allen Menschen erklären, dass ihr Begehren nicht wirklich ihr Begehren ist, sondern - was eigentlich? Bzw. erstmal die Frage von Erkenntnisfähigkeit überhaupt stellen.

    Andererseits ist er gerade deswegen erhellend, weil er diesen so merkwürdig selbstwidersprüchlichen Intersektionalismus-Individualismus aufzeigt, der einerseits die Freiheit zum Selbst-Sein feiert, aber andererseits diese Freiheit auch nur entlang bestimmter Kategorien als zulässig/gerecht erklärt, und zwar entlang genau der Kategorien, die orthogonal zu den Kategorien stehen, die als aktuell "machtvoll"/ungerecht beschrieben werden.

    Das ist ein sehr wichtiges Thema, weil es natürlich so ist, dass Begehren soziale Konsequenzen hat, vielleicht gerade im Hinblick auf die erwähnte relative Statuspräferenz. Da hat die Autorin vollkommen Recht. Und es ist eines, das wirklich selten im Fokus steht, weil sich die wenigsten dem Ursprung ihres Begehrens stellen wollen oder können - das ist ja nichts, was man mal so eben nebenher macht. Insofern ist es gut, dass der Artikel darauf aufmerksam macht. Ich wünschte mir nur, die Autorin hätte nicht nur die Strukturverhaftetheit von Begehren sondern auch der von ihr selbst verwendeten Argumentationsstruktur etwas kritischer betrachtet.

    Danke für den Link!

    1. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor fast 5 Jahre

      Ich muss gestehen, dass ich Deinen Post auch nach dreimaligem Lesen noch nicht ganz verstanden habe ....

    2. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 4 Jahre

      @Dominik Lenné Hast Du eine irgendeine spezielle Frage? Den Hinweis bzgl. mangelnder Lesbarkeit bekomme ich häufiger...

    3. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre

      @Tobias Schwarz Nun ja, z.B. dieser Absatz:

      "Andererseits ist er gerade deswegen erhellend, weil er diesen so merkwürdig selbstwidersprüchlichen Intersektionalismus-Individualismus aufzeigt, der einerseits die Freiheit zum Selbst-Sein feiert, aber andererseits diese Freiheit auch nur entlang bestimmter Kategorien als zulässig/gerecht erklärt, und zwar entlang genau der Kategorien, die orthogonal zu den Kategorien stehen, die als aktuell "machtvoll"/ungerecht beschrieben werden."

      Da muss man schon ziemlich bewandert in einem speziellen Diskurs sein, um sich einen Reim darauf machen zu können. Das Wort Intersektionalismus habe ich persönlich noch nie gehört oder gelesen. Oder was heißt "etwas entlang bestimmter (welcher?) Kategorien als zulässig erklären"?

    4. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 4 Jahre

      @Dominik Lenné Klar, das stimmt, dass das schon ein bestimmter "Gender-Philosophischer" Slang ist. Aber ganz ohne den wird es schwer, in dieser Diskussion die Orientierung zu behalten. Den meisten hier Schreibenden und wohl auch Kommentierenden wird der Begriff wohl geläufig sein. "Entlang bestimmter Kategorien als zulässig erklären" bedeutet hier für mich, dass Phänomene, die (in diesem Zusammenhang Begehren) bestimmten begrifflichen Kategorien zugeordnet werden können, positiv bewertet werden, während andere Begehren bewusst problematisiert werden. Der Ursprung des des jeweiligen Begehrens wird im einen Fall als sozialisiert hierarchisch problematisiert, im anderen Fall - der ebenfalls notwendig sozialisiert hierarchisch sein muß, wenn die Annahmen korrekt sein sollen - aber als rein individuelle Entscheidung zu mehr Freiheit gefeiert, während die soziologische Ebene in den Hintergrund gedrängt wird. Und das ist halt etwas unehrlich, wird aber leider von den meisten Befürwortern des Intersektionalismus nicht als Problem gesehen, oder ignoriert, im besten Falle weil sie die Wirkmächtigkeit des eigenen Kategoriensystems als gering einschätzen.

      Etwas klarer?

    5. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre

      @Tobias Schwarz "Den meisten hier Schreibenden und wohl auch Kommentierenden wird der Begriff wohl geläufig sein." - Das stelle ich in Frage. Im Originalartikel geht es m.M.n. nicht um die Analyse der Feinheiten von Diskriminierung, sondern um die Möglichkeit, die eigenen aversiven Reaktionen durch Erkennen ihrer Bedingtheit teilweise aufzulösen und so zu mehr Freiheit zu gelangen.
      Damit sage ich nicht, dass dein Beitrag in irgendeiner Weise falsch oder deplaciert sei! Ich glaube sogar, dass ich ihn irgendwie verstehe: in dem Sinne, dass es keine gute oder schlechte Bedingtheit gibt, sondern nur die eine oder die andere Bedingtheit. Oder so ähnlich. Also durchaus auch reizvoll, die grauen Zellen so ein bischen zu quälen. Aber eben schon soziologischer Jargon. Subkultur.

    6. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 4 Jahre

      @Dominik Lenné Ja, so ähnlich =) Klar, Diskussionen über soziale Konsequenzen von Begehren *als solchem* sind ja leider im wesentlichen subkulturell, trotz ihrer fundamentalen Bedeutung für soziale Normen und Organisation.

    7. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor mehr als 4 Jahre

      @Tobias Schwarz Es ist interessant und auch irgendwie schön, darüber nachzudenken, aber ich schätze die meisten Leute wollen nicht hinterfragen, sondern tun, agieren, den Rahmen als gegeben im Hintergrund lassen und in ihm ihren Vorteil suchen.

    8. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als 4 Jahre

      Was ich auf jeden Fall von deinem Post verstanden habe :-), ist die interessante Frage: gibt es überhaupt echtes Begehren? Wenn alles sozial oder instinktmäßig bedingt ist?
      Dieses Problem erinnert mich übrigens an die frage nach der bewussten Entscheidung: es war ja in diesem berühmten israelischen (?) Experiment gezeigt worden dass "wir" uns neurologisch nachweisbar Sekundenbruchteile vor unserem bewussten Gedanken dazu schon den neurologischen Befehl dazu erhielten.
      Daraus wird oft abgeleitet wir wären nicht Herr im eigenen haus. Dabei verschiebt sich die frage auch nur weiter: dann wäre unsere selbstentscheidung unser Ich eben zuerst unbewusst und löst a) den neurologischen Befehl UND b) den bewussten Gedanken dazu aus. ..

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