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Quelle: Die Rückseite des Chaos. Foto: Karl van Worm
Geboren 1975 in Hildesheim. Studierte Drehbuchschreiben an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Ausgedehnte Reisen in den Mittleren Osten, durch Asien und Ozeanien. Lebte ein Jahr in Neuseeland. Fotografiert und schreibt für Berliner Kurier, Der Freitag, Zeit Online. Er lebt mit seiner Familie als freier Autor in Berlin.
Seit ein paar Monaten habe ich ein gespaltenes Verhältnis zu meinen Büchern. Das heißt, ich habe andauernd das Bedürfnis, die Bücher in meinen Regalen umzudrehen, so dass man nicht mehr ihre Rücken sondern nur noch ihre blassen, nackten Bäuche sieht. Keine Farben, keine Titel, keine Namen von Autoren, Nichts. Ich wollte diesen Beitrag mit der Behauptung beginnen, dass ich es genauso gemacht hätte wie Rainald Goetz, was man auf einem seiner genial-dilettantischen Fotos sehen kann: Regale voller umgedrehter Bücher. Ohne Namen, ohne Farben, ohne Titel. Eine hell-dunkel-beige-weiße Wand der Ruhe, der Einheit, der Stille, der Harmonie... des Friedens auf der Rückseite des Chaos.
Gestern Abend nahm ich dann doch ein Buch in die Hand, weil endlich mal wieder ein Moment der äußeren und inneren Ruhe gekommen war. John Steinbeck. Die Perle. Ein Zufallstreffer. Ich las die ersten beiden Kapitel. Ganze zwanzig Seiten. Im ersten Kapitel wird das Kind von Keno und Juana von einem Skorpion gestochen. Ausgerechnet! Ein Baby steht unmittelbar vor dem Tod... Ich bin vor zwei Wochen Vater geworden. Ausgerechnet dieses Buch greife ich, dachte ich mir, spürte aber nicht den Ansatz der Angst, dass es sich um ein schlechtes Omen handeln könnte.
Kenos und Juanas Versuch ihr Kind in der Stadt behandeln zu lassen scheitert an dem spanisch-stämmigen Arzt, der nicht bereit ist, das Kind armer Leute ohne Bezahlung auch nur anzusehen. Er sagt: „Sie sollen zum Tierarzt gehen“. Unverrichteter Dinge eilen die Eltern mit ihrem Kind zurück nach Hause. Am Ende des zweiten Kapitels findet Keno eine Perle. Noch lebt das Kind.
Heute früh lag - wie am Abend zuvor - eine selten ruhige Stunde vor mir. Ich komme zum Lesen. Wird das Kind sterben? Wird der ekelerregende Arzt die Perle nehmen, obwohl er das Kind nicht rettet? Weist nicht alles darauf hin, dass Juana und Keno nicht nur ihr Kind, sondern auch die Perle und zuletzt sich selbst verlieren werden? Kann die Widerlichkeit dieses Doktors und Kolonialherren noch gesteigert werden? Oder will ich nicht einfach nur in diese trockene, heiße Welt der Golfküste eintauchen, ganz egal welche Handlung sich dort abspielt? Vieles in Steinbecks Geschichte erinnert an Hemingways Der alte Mann und das Meer. Die Hitze, die Armut, der spiegelglatte Horizont, die Hütte, die Übersicht. Doch Steinbeck hat seinen alten Mann und das Meer um die Hälfte gekürzt und in ein Märchen verwandelt.
Heute morgen gehe ich ins Wohnzimmer, um das Buch zu holen. Aber neben der Matratze, auf der ich geschlafen habe, liegt es nicht. Ich wundere mich und gehe in die Küche, danach ins Bad, schließlich suche ich es auf dem Schreibtisch im Schlafzimmer. Ich will wissen, ob das Kind stirbt. Oder wird der Vater den Arzt töten? Ich sehne mich nach der Stille, der Hitze, der Hütte, dem Horizont, nach meiner Frau und nach einem Märchen. Nach Kargheit und Einfachheit. Ich schaue noch mal im Wohnzimmer bei der Matratze, hebe sie hoch, schaue unter dem Laken und unter der Bettdecke. Nichts. Schaue in der Küche auf den Küchenstühlen und auf dem Kühlschrank. Überall liegt alles voll mit irgendwelchem Kram, nur das Buch ist nicht da. Ungläubig setzte ich mich in den Sessel. Was soll das!
Dann will ich zumindest dieses Foto sehen. Goetz´ Foto von seinen Regalen. Ein Foto von dem Frieden auf der Rückseite der Überfülle. Ich blättere Irre durch, dann Rave, auch in Loslabern ist das Foto nicht. Nicht in Abfall für Alle. Nicht in Klage.
Keno hat die Perle gefunden. Und dann? Kommt das Unglück etwa nicht? Verliert er seine Frau, das Kind, all seinen Besitz? Sein eigenes Leben? Ich nehme Celebration, lasse mich wieder in den Sessel fallen, sehe das Buch durch und finde das Foto immer noch nicht. Sehe nur Fotos von Menschen, die mir unsympathisch erscheinen, so unsympathisch wie sie mir nie zuvor erschienen sind. Ich stehe auf und suche ein letztes Mal nach Steinbecks Buch. Nach den ersten beiden Kapiteln dieses Märchens war alles auf so merkwürdige Weise klar und überhaupt nicht klar. Meine Freundin stellt sich mir in den Weg und schaut mich an:
„Hast Du´s?“
„Nee!“
„Komisch.“
+ Die Perle. John Steinbeck. + Celebration. Rainald Goetz. +
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