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Literatur

DIE ERSTE FRAU

DIE ERSTE FRAU

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLDienstag, 16.01.2018

Ich liebe sie. Schleppe sie mit mir herum, verbringe Stunden mit ihr, spreche ihre Zeilen laut nach. Begegnet war ich ihr in einem Hotelzimmer. Draußen regnete es in Strömen und ich blätterte durch die Wochenendausgabe der New York Times. Das Magazin hatte ich mir bis zuletzt aufgehoben und darin das Interview mit Emily Wilson entdeckt, Professorin für Klassische Sprachen, in dem sie berichtete, wie sie als erste Frau die englische Übersetzung von Homers Odyssee angegangen war. Und ich wusste, dass ich dieses Buch haben musste. Tatsächlich hat die Übertragung meine Sicht auf das Epos verändert. Denn so spannend einzelne Elemente der Odyssee auch sind, bisherige deutsche Fassungen, die ich gelesen hatte, schafften es nie, ihren altertümelnden Duktus abzuschütteln. Dieser Schleier, nicht zuletzt aus dem Bemühen entstanden die Leser einen Jahrtausende langen Abstand spüren zu lassen, fällt hier fort. Nur weil ein Text sehr alt sei, bedeute das noch nicht, dass man ihm gerechter werde, indem man eine gekünstelte Sprache für die Übertragung wähle, meint Wilson. Dementgegen ist ihre Übersetzung abgesehen von aller Korrektheit auch eine Interpretation, da sie sich in Tonfall und erfrischender Wortwahl einer komplexen Einfachheit bedient, zu der vielleicht das Englische eher neigt als das Deutsche. Schon mit dem ersten Adjektiv zur Charakterisierung des Helden setzt sie eine Marke. Anstatt ihn als „man of twists and turns“ vorzustellen, spricht Wilson von einem „complicated man“. Das Wort mag zu alltäglich wirken, bedenkt man aber seinen lateinischen Ursprung, complicare, zusammenfalten, weist es auf verschiedene Schichten, aus denen einmal diese und einmal jene Ebene hervortreten kann. Und lässt damit sogar die textile Metaphorik anklingen, welche den ganzen Text durchzieht.

Auch Geschlechterverhältnisse und Herrschaftsstrukturen der antiken Gesellschaft versucht die Übersetzerin mit klaren Worten zu verdeutlichen. Sie spielt mit Wortwiederholungen, einem beständigen Neuansetzen auf den oralen Ursprung des Epos an, das gängig gewordener erzählerischer Ökonomie eigentlich gar nicht so sehr gehorcht.

Trotzdem folgt Wilson nicht feministischen Annahmen, welche die langweilige Zuhause-Sitzerin Penelope zu rehabilitieren versuchten, indem sie behaupteten, dass eigentlich sie die Fäden des Geschehens in Hände halte. Wilson zeigt Penelope als Frau von Stand, der in der damaligen Gesellschaft keine andere Wahl blieb als irgendeines Mannes Gattin zu sein. In dieser Zwangslage hat sogar der mittlerweile erwachsene Sohn das Recht, ihr vor versammelter Gesellschaft den Mund verbieten:

„Stick to the loom and distaff. Tell your slaves

to do their chores as well. It is for men

to talk, especially me. I am the master.“

Odysseus hingegen darf – ob freiwillig oder nicht – zumindest die Welt kennenlernen, mit schönen Frauen schlafen und zwischendurch darüber klagen, dass er nicht nach hause kann. Während der Held also heim will oder das zumindest dauernd behauptet, will Penelope vor allem, dass die Geschichte nie endet. Deshalb zieht sie immer wieder den Faden aus ihrem Gewebe und setzt neu an, versucht den Schluss mit einer Lüge aufzuschieben.

Wilson korrigiert zudem unser idealisiertes Bild vom griechischen Herrschaftssystem, welches mithilfe von Unfreien aufrechterhalten wurde, da sie die Untergebenen nicht als Diener benennt, sondern mit Sklaven übersetzt. Auch Odysseus Grausamkeit, als er nach seiner Heimkehr die Sexsklavinnen der Freier zur Strafe aufknüpfen lässt, wirkt in dieser Übertragung ziemlich krass:

„...strung up with the noose around their necks

to make their death an agony. They gasped,

feet twitching for a while, but not for long“.

Nicht zuletzt erscheint der Text deshalb so zeitgemäß, weil es andauernd darum geht, welche Pflichten wir uns aufhalsen, sobald wir Fremde und Gäste in unseren Häusern aufnehmen.

Homer: THE ODYSSEY, translated by Emily Wilson, W.W.Norton & Company, New York, London, 2018

https://www.nytimes.com/2017/11/02/magazine/the-first-woman-to-translate-the-odyssey-into-english.html

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