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Literatur

Kaffee und Zigaretten – der Fall von Schirach

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 30.04.2019

In seinem neuen Weltbestseller "Kaffee und Zigaretten" macht der ehemalige Top-Jurist und heutige Erfolgsautor von Justiz-Kurzgeschichten erstmals sich selbst zum Fall - und das Buch wird damit zu einer spannend gescheiterten Fallstudie in Sachen Lakonie. Das arbeitet Hubert Winkels in der unten verlinkten Rezension in der SZ hervorragend heraus:

Das Selbstverständliche an der Erzählung ist zugleich das Frappierende: Ferdinand von Schirach textet sein eigenes Leben nach dem gleichen Muster wie die Dutzenden Fallgeschichten in seinen Storybänden "Verbrechen" (2009), "Schuld" (2010) und "Strafe" (2018). So schreibt er eben, so kann er es, und so mögen es die Leser. Trotzdem mutet es seltsam, ja befremdlich an. Warum?

Und gibt sich und uns folgende Antwort:

Nun, Schirach beruhigt sich und uns, lenkt von der autoritativen Anmaßung der Selbstinszenierung ab, indem er lediglich lakonisch knapp von sich spricht. Bescheiden wirkt das trotzdem nicht, der Gehalt der Autofiktion wiegt zu schwer: Sinnskepsis, Trauer, Depression dominieren, Möglichkeiten der Lebensbewältigung stehen auf dem Spiel. Der Erzähler hat den Blues, er ist damit groß geworden. Enttäuschung, Glücksferne, Erschrecken über die Conditio humana im Allgemeinen, über das kriegerische Menschengeschlecht und die jüngere deutsche Geschichte im Besonderen grundieren diesen so gut wie alle folgenden Texte. Deshalb darf man dieses erste Prosastück des Buches getrost für dessen Kern halten. Alle weiteren Betrachtungen, die mit den Geschichten auf essayistisch-erläuternde Weise verbunden sind, folgen diesem fatalistischen Grundkurs.

Nun hab ich Ferdinand von Schirach selbst schon oft und gern verrissen (seine "Strafe"-Stories erschienen mir wie "auf den Bierdeckel der Paris Bar gekritzelte Film-Treatments"). Trotzdem hat mich der neue Band "Kaffee und Zigaretten" auch seltsam berührt. Hinter der Fassade des Erfolgsschriftstellers, der gerade durch die Talkshows tingelt und sich dort als state of the art des boulevardtauglichen Intellektuellen (oder Hochkulturellen) beweihräuchern lässt, ahnt man wegen der fast schon ängstlich durchgezogenen Lakonie eben nicht Selbstsicherheit, sondern eine tiefe stilistische Unsicherheit, die sich fast nichts erlaubt - und dennoch oder gerade deswegen dauernd den großen Durchblick beschwören muss.

Mitunter wirkt das lächerlich, zum Beispiel, wenn er sich bemüht, irgendwelche weltgeschichtlichen Anekdoten als Hintergrund-Atmo zum moralischen Untergang des Selbst oder der Menschheit einzustreuen. Da ist ein Kurzkapitel dann schnell weggeschrieben, auf dass der Leser lange daran zu knabbern hat, was die arme Telekom-Telefonistin alles nicht weiß:

Fünfzehn

Die neuen Telefontarife der Telekom werden "Magenta" genannt. Sie seien preiswerter als bisher, sagt die Frau am Telefon, ein "echter Kampfpreis". Magenta ist eine Kleinstadt in der Lombardei, ein paar Kilometer von der Stadtgrenze Mailands entfernt. 1859 kämpften hier Sardinien-Piemont und Napoleon III gegen den österreichischen Kaiser. Es ging um die Vorherrschaft in Oberitalien. Am 4. Juni 1859 wurden dort so viele Soldaten abgeschlachtet, dass die Erde sich rot färbte. Der Name der Farbe "Magenta" soll daher stammen.

Andere Kapitel sind etwas länger und sinnvoller: Sie handeln davon, wie von Schirach einmal von der Chefredakteurin eines Modemagazins zur Pariser Fashion Week eingeladen wird und den Blues kriegt, weil es keine Cafés und eleganten Frauen wie zu Hemingways Zeiten mehr gibt. Oder er fachsimpelt mit dem schwedischen Autor Lars Gustafsson über Tennis und offenbart indirekt, wie wenig Ahnung zumindest einer von beiden von dem Sport hat: selbst den besten Spielern könne es passieren, dass sie fünf Mal hintereinander den zum Aufschlag hochgeworfenen Ball verfehlen würden. Das passiert selbst den besten Spielern leider niemals, die dennoch nicht dagegen gefeit sind, ihr Timing zu verlieren. Man nennt das dann "Yips". Von Schirachs Mini-Autobiographien haben gewissermaßen literarische Yips, könnte von Schirach im Stil von von Schirach über von Schirach schreiben.

Kaffee und Zigaretten – der Fall von Schirach

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Kommentare 2
  1. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

    ich schätze Ferdinand von Schirach

  2. Mascha Jacobs
    Mascha Jacobs · vor mehr als 5 Jahre

    thx

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