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Literatur

Monsieur Proust

Monsieur Proust

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtDienstag, 12.06.2018

An anderen Autoren interessiert mich zunehmend, wie sie ihr Leben organisiert haben, um arbeiten zu können, denn das ist eines der wesentlichsten Talente, über das man verfügen muß. Einer der genauesten Texte über die ständige Suche nach den perfekten Arbeitsbedingungen, die es natürlich nie geben kann, stammt von Céleste Albaret, der ehemaligen Haushälterin von Marcel Proust. Erst 50 Jahre nach seinem Tod hat sie über ihre Tätigkeit für ihn gesprochen, ein Lektor hat diese Gespräche aufgezeichnet und daraus ein Buch gemacht: "Monsieur Proust". Céleste Albaret war als junges Mädchen nach ihrer Hochzeit mit Prousts Chauffeur vom Dorf nach Paris gezogen. Zunächst trug sie nur Prousts signierte Bücher an Freunde aus, rosa eingeschlagen für Frauen, blau für Männer. Dann durfte sie schon die Post austragen, man brachte sie damals zum Empfänger und wartete ab, daß er seine Antwort schrieb. Nach und nach übernahm sie Prousts ganzen Haushalt, den sie acht Jahre führte, die glücklichste und aufregendste Zeit ihres Lebens. Sie wurde zu seiner wichtigsten Bezugsperson. Sie hat es nie als Belastung empfunden, für ihn zu arbeiten, obwohl das hieß, daß sie, genau wie Proust, nachts arbeiten und tagsüber schlafen mußte. Was erfährt man von ihr über Prousts genau choreographierten Tagesablauf und die Wissenschaft seiner Bedürfnisse?

Proust aß fast nichts, aber wenn er aufwachte, brauchte er Milchkaffee und zwei Hörnchen, manchmal ein drittes, das für den Fall extra warmgehalten wurde. Alles mußte auf einer bestimmten Untertasse liegen, die zur Kaffeetasse paßte. Proust hielt sich immer im Schlafzimmer auf, an dessen Wände Korkplatten genagelt waren, um Geräusche zu dämmen. Er gab den Bediensteten in der darüber liegenden Wohnung Geld, damit sie Filzhausschuhe trugen.

Die Milch wurde jeden Morgen von einem Milchgeschäft gebracht, natürlich ohne zu schellen. Der Kaffee kam von Corcellet, von einer Rösterei in einem Laden im XVII.Arrondissement. Es wurden auch nur Corcellet-Filter benutzt. Man mußte den Kaffee im Filter festdrücken, damit er stark wurde und langsam das Wasser durchlaufen lassen, der Filter wurde im Wasserbad warmgehalten. Es wurden drei Tassen zubereitet, falls Proust nach den üblichen zwei Tassen noch eine weitere wünschte, was aber selten vorkam.

Die Zeit, wann er den Kaffee trinken würde, bestimmte er immer am Tag vorher. Der Kaffee mußte dann vorbereitet sein, wenn Proust läutete. Wenn er nicht läutete, mußte neuer Kaffee vorbereitet werden, denn, wenn Proust irgendwann doch läutete, mußte der frischer Kaffee fertig sein. Sonst sagte Proust: "Der Kaffee ist miserabel, das Aroma ist weg."

Eines Tages hatte es zum ersten Mal zweimal geschellt, das hieß, daß Céleste die Ehre hatte, Proust das Hörnchen zu bringen. Sein Zimmer war voller Rauch, er saß in einer Wolke, und sie sah nur seine schwarzen Augen. Weil er stark an Asthma litt, räucherte er nach dem Aufwachen mit einem speziellen Pulver die Luft. Hatte er geschellt, durfte sie nicht anklopfen, sie betrat dann direkt das Zimmer. Neben dem Bett stand ein Tisch mit einem silbernen Tablett, einer kleinen, silbernen Kaffeekanne, der Tasse, der Zuckerdose und dem Milchkännchen. Sie mußte die Untertasse aufs Tablett stellen und sich schweigend zurückziehen. Weil ihm das Sprechen wegen seines Asthmas manchmal schwerfiel, teilte er seine Wünsche über Gesten mit.

Die Räucherung erfolgte mit Legras-Pulver, das auf einer Untertasse entzündet wurde. Streichhölzer hätten einen Erstickungsanfall auslösen können, deshalb wurde ein Streifen weißen Papiers in eine Kerze gehalten und damit das Pulver angezündet. In einer Schachtel, die aus Angst vor Staub fest verschlossen wurde, lag immer ein Vorrat von Papier zum Anzünden des Pulvers bereit. Tag und Nacht mußte ein brennender Leuchter in einem Korridor hinter dem Kopfende von Prousts Betts stehen. Die Kerze selbst mußte natürlich in der Küche angezündet werden.

Weil sein Asthma und die Erschöpfung von der Arbeit ihm das Reden erschwerte, sagte Proust nicht Danke, sondern macht nur "eine wunderbar weiche Handbewegung." Oft kommunizierte er mit Céleste über Zettel. Die meiste Zeit sah es aus, als würde er schlafen, weil er mit geschlossenen Augen im Bett lag, aber er wanderte dann in Gedanken durch seinen Roman. Er arbeitete immer im Bett liegend.

Für die Nacht stellte Céleste ihm immer ein Lacktablett mit Lindenblütentee und einer Flasche Evian-Wasser ans Bett, das er in den acht Jahren aber nie anrührte.

Wenn sie das Zimmer betrat, lächelte er, denn er war ungeheuer höflich und einfühlsam, sie betrachtete die Arbeit für ihn nie als Belastung. Schließlich mußte das Buch fertig werden, und nur das zählte. Oft, wenn sie einen Spruch anbrachte, den sie von ihrer Mutter hatte, sagte Proust: "Das gefällt mir, das nehme ich in mein Buch auf."

Einmal im Jahr fuhr Proust zum Seeurlaub in die Normandie, seine Bettdecken wurden mitgenommen. "Wissen sie", sagte er, "das Hotel schließt im Winter. Wenn ihre Decken auch noch so gut gelüftet sind, sie riechen doch nach Naphtalin, und das würde mich belästigen." Er mietete drei nebeneinander liegende Zimmer, damit in den angrenzenden Zimmern seine Dienstboten schlafen konnten, die genau wußten, wie geräuschempfindlich er war. In Paris wurde in seiner Abwesenheit von einer Firma mit großen Staubsaugern die Wohnung gereinigt.

Auf der Rückfahrt nach Paris erlitt er immer zwischen Mézidon und Calvados Erstickungsanfälle, möglicherweise lag es an bestimmten Pflanzen, die dort wuchsen. Nach einem besonders schlimmen Anfall stellte er das Reisen ein. Seine Bronchien seien wie gekochter Gummi. Er litt unter der Vorstellung, vor Beendigung seines Buchs zu sterben. Ab 1914, also die letzten acht Lebensjahre, widmete er sich nur noch dem Buch. Sogar das Telefon gab er auf.

Er hatte nach dem Tod der Eltern und eines Onkels so viele Möbel geerbt, daß er Abteilungen in Möbellagern mietete. Trotzdem stand das Eßzimmer bis zur Decke voller Möbel, es wurde nie betreten

Céleste durfte nicht bohnern, wegen des Geruchs. Niemand durfte Parfüm benutzen, Blumen waren verboten, obwohl er sie über alles liebte. Zur Baumblüte ließ er sich von seinem Fahrer aus der Stadt fahren und bewunderte durch die geschlossene Fensterscheibe lange einen Zweig. Seine Nase war äußerst empfindlich, einmal legte ihm Céleste seine Handschuhe hin und er sagte: "Diese Handschuhe sind gereinigt worden. Sie riechen nach Benzin." Sie konnte ihm nichts verheimlichen.

Es lagen immer Stöße von Taschentüchern auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett. Er benutzte jedes nur einmal und warf es auf den Boden. Es durften keine anderen Taschentücher angeschafft werden, denn nur diese hatten ein so feines Gewebe, daß sie seine empfindlichen Schleimhäute nicht reizten. Er merkte sofort, wenn ein neues darunter war.

Deshalb wurde auch nie geheizt, weil die Zentralheizung zu trocken für seine Nase war und er den Ofenruß nicht ertrug.

Er lag unter einer Tagesdecke auf dem Bett, die ihn an eine Decke bei seiner Tante erinnert. Ein Federbett war extra angefertigt worden, konnte aber wegen seines Asthmas nicht benutzt werden.

Céleste mußte Wärmflaschen machen und ihm Pullover reichen. Er benutzte wollene Unterhosen von Rasurel und Pullover aus Pyrenäen-Wolle. Auf dem Sessel lag immer ein Stoß davon, weil er sie sich im Bett über die Schultern warf, und sie ihm als Stütze dienten. Manchmal schellte er, damit ihm Céleste einen weiteren Pullover reichte.

Proust stand am späten Nachmittag auf und kam, wenn er ausging, nachts gegen 4 bis 5 Uhr nach Hause. Dann unterhielt er sich noch drei bis vier Stunden mit Céleste und erzählte ihr, wie der Abend war, und wen er getroffen hatte. Das waren für sie zauberhafte Stunden. Lieber wäre er zuhause geblieben, aber er mußte ausgehen, wenn er bestimmte Leute für sein Buch studieren wollte.

Aber ob es Tag war oder Nacht spielte keine Rolle, weil die Fenster immer geschlossen und die Vorhänge zugezogen waren.

Céleste mußte sich den gleichen Tagesrhythmus angewöhnen. Schon mit seiner Mutter hatte Proust, als er noch bei ihr wohnte, wegen der unterschiedlichen Schlafenszeiten brieflich verkehrt.

Alle Besorgungen wurden in ganz bestimmten Geschäften erledigt:

Fische kaufte Céleste bei Félix Potin an der Place Saint-Augustin.

Windbeutel von Bourbonneux, Rue de Rome.

Mokkacreme von Latinville, Rue la Boetie.

Einmal sollte sie ihm eine Poire Bourdaloue im Restaurant Larne holen.

Obst gab es bei Auger am Boulevard Haussmann.

Eis wurde aus dem Ritz geholt.

Konfitüre bei Tanrade in der Rue de Sèzerier.

Bier aus der Brauerei Lipp am Boulevard Saint-Germain.

Lackstiefel von Old England am Boulevard des Capucines.

Eigens angefertigtes Zahnpulver aus der Apotheke Leclerc.

Proust benutzte wegen seiner Haut keine Seife, nur feuchte Handtücher, 20 Stück pro Morgen. Das Wasser mußte auf 50 Grad erhitzt werden, weil es dann, bis er so weit war, sich zu waschen, die richtige Temperatur hatte. Seine Wäsche wurde in Frottiertücher gewickelt und in der Bratröhre angewärmt.

Vor dem Losgehen wurden Handschuhe und Taschentücher auf einem silbernen Tablett in der Diele bereitgestellt. Dazu Pelz, Spazierstock und ein passender Hut. Er besaß nie einen Schlüssel, oder er wußte nicht, wo er sich befunden hätte.

In seiner Anwesenheit war es verboten aufzuräumen, weil das Staub aufgewirbelt hätte. Nur, wenn er außer Haus war, wurden das Bett und der Boden von Zeitungen und Papieren geräumt. Proust selbst bückte sich nie.

Gegen Ende seines Lebens trug Proust beim Empfang von Besuchern aus Angst vor Mikroben im Bett Handschuhe. Außerdem wurde ein Apparat angeschafft, in dem mit Formalin alle Briefe desinfiziert wurden.

Er ernährte sich zu dieser Zeit fast ausschließlich vom morgendlichen Milchkaffee. Nur manchmal mußte man ihm um 2 Uhr morgens ein kaltes Bier aus dem Ritz bringen.

Bis zum letzten Tag schrieb er, obwohl er kaum noch stehen konnte und unter Schwindelanfällen litt. Der größte Teil seines Buchs erschien nach seinem Tod.

Ihr Leben lang wurde Céleste von Neugierigen bestürmt, ihnen von ihrer Zeit bei Proust zu erzählen, aber sie schwieg 50 Jahre. Erst, als ihr zuviele Unwahrheiten kursierten, brach sie ihr Schweigen.

Wo findet man heute noch solches Personal?

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Kommentare 1
  1. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor 5 Jahren

    Eigentlich soll es ja keine Kritik hier auf piqd geben. Aber ich finde es nicht in Ordnung, dass Autoren wöchentlich Texte posten, einfache Leser ihre Lesegewohnheiten daran anpassen und dann auf einmal gefühlt 4Wochen warten und es nix neues zu lesen gibt. Nun ja, dem entgegen zu wirken habe ich jetzt das dritte Buch von Herrn Schmidt vor mir liegen, irgendwas mit S. liest Proust. Und wie geht es jetzt eigentlich mit Chaussee der Enthusiasten weiter?

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