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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Kurzer Versuch einer Beschreibung des Gesamtzustands der deutschen Literatur in den letzten drei Wochen: Die beiden entscheidenden Narrative standen leider in keinem Roman und kamen weder von Dan Brown (der, wie Thomas Steinfeld in der SZ beschrieb, mit "The Origin" sein Sight-Seeing-Nichts-Sehen-Prinzip zu neuen Gipfeln der Wikipedia-Literatur führte) noch von Pale King Danny Kehlmann (der sich mit "Tyll" wenigstens endlich wieder auf die Hygge-Welt des Historischen Romans zurückbesonnen hat). Nein, es handelt sich um die große "Schulz-Story" im vorletzten SPIEGEL und den "Weg des Thomas Tuchel" in der Herbst-Winter Edition des sogenannten ZEIT-Magazin MANN. Während die "Schulz-Story" (Untertitel: "Wir sind im freien Fall. 150 Tage an der Seite des Kanzlerkandidaten - eine große Erzählung über Politik im Jahr 2017") maximal einschlug und über eine Hauptfigur mit einem Beruf am absolut unteren Ende der Popularitätsskala verfügt (Politiker), erfuhr der "Weg des Tuchel" (Untertitel: "In New York erzählt der Star-Trainer von den Wendepunkten seines Lebens") abgesehen von ein paar höhnischen Querverweisen im Bayern-Chaos nach dem Abgang von Carlo Ancelotti kaum mediale Beachtung, obwohl die Hauptfigur einen Beruf ausübt(e), der momentan zu den in Deutschland am höchsten eingeschätzten zählt (Bundesligatrainer). Gleichwohl haben beide Erzählungen einen prominenten Anti-Helden, den die jeweiligen Autoren (Markus Feldenkirchen, Christoph Amend) aus nächster autobiographischer Nähe mit der größten Gemeinheit unter dem Deckmantel des Mitgefühls (oder der menschlichen Anteilnahme) so zur Strecke bringen, wie das ein Roman-Autor nur schwer hinkriegt, weil der in der Regel nur auf die eigene, maximal unprominente Person zurückgeworfen ist - und mit dem Medium "Roman" als Veröffentlichungskanal auch nicht gerade punkten kann (Ausnahme vielleicht Yasmina Reza mit ihrem Buch über Sarkozy). Man spürt förmlich, wie die beiden geködert wurden: "Mensch, Martin, 17 Seiten im SPIEGEL, das wird dein Vermächtnis - so wie Dave Remnick im New Yorker über Obama schrieb!", bzw. "Come on, Thomas, du hast eine super Model-Figur, die wollen einen Fashion-Shoot in NYC mit dir machen, das wird die Wende nach all der Zeit in den hässlichen Puma-BVB-Klamotten, damit wirst du endgültig der neue Pep!" Was natürlich beide Figuren extrem literarisch macht und wiederum verbindet, ist natürlich, dass sie momentan gleichermassen on the outside sind (oder, in den Worten der Stefan Zweifel-Nachfolgerin beim SRF-Literaturclub, Nicola Steiner: "ich wollte nie selber schreiben und will auch keine Romanfigur sein, weil ich nicht unglücklich enden will").
Beginnen wir mit Schulz und Feldenkirchen: Purer Revenge-Porn. Die Story an sich dürfte inzwischen hinreichend bekannt sein. Aufstrebender Markus-Lanz-SPIEGELredakteur-Darsteller ergreift die Chance, ein halbes Jahr lang den beispiellosen Sturz von St. Martin live mitzuerleben, muss dafür aber auch real durch die Meeting-Hölle mit niederen SPD-Chargen wie Redenschreiber Jonas Hirschnitz(?) gehen - und rächt sich gnadenlos, indem er jedes Bäuerchen aufschreibt und den FC-Fan Schulz (freut sich kurz & bekloppt über das zwischenzeitliche Euroleague-1:0 bei Arsenal) als manisch-depressiven Klogänger abschiesst. Also als jemanden, der sich selbst zu sympathisch findet und sich immer schon zu sehr freut (der 100%-März, und gerade gestern erst wieder nach der Niedersachsenwahl) - oder gleich totendown ist (April bis September: die Umfragen, "das Duell"). Den wirklichen Treffer kassiert aber die SPD mit ihrer restlos überholten Kleine-Leute-Politik und Ehrliche-Gerechtigkeits-Rhetorik. Das Stück liest sich wie ein apokalyptischer Abgesang auf die Parteiendemokratie (denn in keiner Sekunde glaubt man, dass es bei anderen Parteien behind the scenes besser aussieht). Er wünschte sich, sagte Claudius Seidl bei "Thadeusz" im rbb (wo der anwesende "Markus" für seinen tollen Text gelobt wurde), er hätte es nie gelesen, weil es einfach zu traurig gewesen wäre. Denn schnell ist klar, dass Schulz nur eine Chance gehabt hätte, wenn er gegen die SPD Wahlkampf gemacht hätte ... In etwa so, wie ein guter Roman nur noch gegen das eigene Genre geschrieben werden kann: In einer kurzen Feuilleton-Glosse zur Buchmesse in der ZEIT wies Iris Radisch darauf hin, dass Literatur die neue SPD ist - nur 20% der Deutschen lesen überhaupt noch Bücher (hinten im Erlebnis-Ressort Z derselben Ausgabe empfahl Parteimitglied Felix Dachsel in einem selten lesenswerten "Ansage"-Aufmacher der SPD dementsprechend die Auflösung).
Aber - kommt jetzt noch was mit Büchern? Gleich.
Wenn die "Schulz-Story" Revenge-Porn ist, handelt es sich beim "Weg des Tuchel" eher um versuchten Glam-Porn. Mangels Fallhöhe muss Amend sich seinem erstaunlich unscheuen Gegenstand subtiler nähern: Thomas Tuchel wurde ja eher als Anti-Schulz bei Dortmund entlassen - erfolgreicher Pokalsieger, aber zu wenig mit dem auf volksnah gebügelten Aki Watzke rummenschelnd. Es gilt, den eher zu sturen als zu labilen Psycho (die Ernährungsmacke; "liebt das Spiel mehr als die Spieler") erstmal wieder ein wenig aufzubauen. Privat mit seinem Berater (bewußt kein Fußballmensch, sondern der Manager von Clueso) in den USA unterwegs, erzählt Tuchel dem ZEIT-Magazin MANN sein Leben, was sich erstmal so liest, wie jede normal vom Ehrgeiz demolierte Sportstar-Story. Frühes "Wunschkind" (beide Eltern bei seiner Geburt 18) wird er zum Projekt des Vaters, der ihn ständig auf langen Autofahrten zum Training dichtquatscht, was er noch besser machen muß. Hoffnungsvoller Jugendfußballer, frühe Verletzungen, mit 24 pleite und Kellnern in einer "Stuttgarter Szene-Kneipe". Als er erfährt, dass sein alter Verein Ulm aufsteigt, will er doch wieder zum Fußball zurück und wird erfolgreich Jugendtrainer in Augsburg. Weil er in München wohnt, pendelt er mit einer ollen Schrottgurke täglich hin- und zurück, die ihm (das ist in Tuchels Biographie ein echter Aufreger) aber so peinlich ist, dass er sie seiner späteren Frau lieber verheimlicht, als sie sich das erste Mal daten. Er will anschließend lieber ein Taxi nehmen, aber sie weist ihn darauf hin, dass er doch gerade mit dem Auto aus Augsburg hergefahren sein müsse, woraufhin Young Tuchel alles riskirt (O-Ton: "all in") und sie tatsächlich in der ollen Schrottgurke mitnimmt, und als er merkt, dass ihr das nichts ausmacht, weiß er: die ist es... Während man so etwas liest, beneidet man Amend genausowenig wie Feldenkirchen um die Recherche und denkt vor allem an David Foster Wallace' bemerkenswerte Rezension einer Tracy-Austin-Biographie, in der er darüber philosophiert, warum sich Talent und Drüber-Reden-Können (oder auch Reflektion) regelrecht auszuschließen scheinen. Aber - Stichwort Tennis - einen hat Tuchel dann doch noch auf der Pfanne: Sein absolutes Lieblingsbuch ist "The Inner Game of Tennis". Ein mehr oder weniger psychologischer 70er-Jahre Ratgeber über Tennis als Kopfsache: man spiele immer zwei Matches - ein inneres (gegen sich selbst) und ein äußeres (gegen den Gegner). Das hat Tuchel, dem Tennisspieler, offenbar sofort eingeleuchtet: als er selbst noch einmal im Urlaub Training nahm, rastete er auf dem Platz so aus, dass selbst seine Frau (die ihm ja immerhin sogar die Schrottgurke verzieh) beschämt nicht mehr zugucken konnte. Als sein ehemaliger Starzugang Henrich Hamleti Mchitarjan bei Dortmund nicht zum Zuge kam, weil er im Team als Sonderling galt (unter anderem weil er keine Freundin hatte und Bücher las), empfahl ihm Tuchel den Tennisratgeber von W. Timothy Galway - und Micky war sofort begeistert und wurde praktisch Seite für Seite zu einem besseren Spieler...
Aber an dieser Stelle muß selbst ich zugeben, dass ich mich vielleicht nur noch für dieses zweite Narrativ interessiere, weil es im weitesten Sinne mit Literatur und Tennis zu tun hat. Die letzten beiden Male (wichtige Romanautoren-Erfahrung!) merkte ich immerhin noch, wie man dezent nicht mehr zuhörte, als ich wieder mit Tuchel und "The Inner Game of Tennis" anfing (das im übrigen eine grandiose Mogelpackung sein könnte - es gibt ein paar wunderbare 1-Sterne-Rezensionen im Netz - und wer wirklich einen Psycho-Ratgeber für Tennis - oder Schreiben - braucht, sei auf Brad Gilberts Standardwerk "Winning Ugly" verwiesen).
Wem das deswegen jetzt also zuviel Zustand und zu wenig Gesamtsituation gewesen ist, den möchte ich abschließend mit zwei kleinen Video-Links zum Thema trösten. Im ersten erklärt die gerade zur Leiterin des Marbach-Archivs berufene Prof. Dr. Sandra Richter einem schlechtgelaunten Ulli Greiner die ZEIT-Akademie für deutsche Gegenwarts-Literatur (“welche Autoren kommen vor, welche haben das Glück, nicht vorzukommen?”). Im zweiten spielt der unvergessene Harald Schmidt selbige mit Playmobil-Figuren nach.
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