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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Wir haben hier bereits hin und wieder mal auf den Podcast "Was tun, Herr General?" hingewiesen, bei dem mdr-Moderator Tim Deisinger mit dem Ex-Nato-General Erhard Bühler über den russischen Angriff auf die Ukraine spricht.
Empfehlen will ich diese Folge aus zwei Gründen: Zum einen ist der Militärhistoriker Sönke Neitzel zu Gast, dem man immer gut zuhören kann, zum anderen geht es um die großen Bögen dieses Konfliktes, was ich schon deshalb hilfreich ist, weil man im Kleinklein der Tagespolitik den Überblick verliert.
Historiker Neitzel zeichnet ein Bild der Ungewissheit: Während die ukrainische Gegenoffensive gescheitert sei und es anders als von vielen erwartet keine schnellen Erfolge gegeben habe, hätten sich die Russen erfolgreich entlang der Front eingegraben. Wie der Krieg weitergehe, der sicherlich noch lange dauern dürfte, hänge nicht zuletzt vom Willen des Westens ab, der Ukraine weiter Ressourcen und Waffen zur Verfügung zu stellen.
Neitzel nimmt allerdings einen Stimmungswandel im Westen wahr, der dazu führe, dass Putin sein Geduldsspiel spielen könne. Eine Perspektive für Verhandlungen sieht er derzeit jedenfalls nicht. Dass die Ukraine noch eine erfolgreiche Gegenoffensive starten könnte, hält er für unwahrscheinlich.
Spannend ist das Gespräch für alle historisch Interessierten, weil Neitzel immer mal wieder auf geschichtliche Ereignisse verweist, etwa auf die Isonzo-Schlacht im Ersten Weltkrieg oder die Schlacht bei Stalingrad. Dabei macht er klar, wie schwierig es auch für die Forschung ist, die Motivation von Frontsoldaten zu ergründen – auf heute bezogen heißt das, man sollte nicht zu leichtfertig von schlecht motivierten russischen Soldaten ausgehen.
Quelle: Interview mit Erhard Bühler und Sönke Neitzel Bild: MDR www.mdr.de
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Ergänzend zur Frage Verhandlungsoptionen:
Opinion page NYT:
Serge Schmemann, Redakteur, Pulitzer-Preisträger und Ex-Korrespondent in Moskau, Bonn und Jerusalem, schreibt:
„Die Ukraine benötigt nicht ihr gesamtes Territorium, um Putin zu besiegen“.
Sobald sich die Möglichkeit für Verhandlungen öffne, solle die Ukraine darauf eingehen. Dies sei kein Friedensgeschenk an Putin, wie sehr er es auch für sich als Sieg verbuchen würde.
https://www.nytimes.co...
New York, 27. Dezember - Printausgabe vom Folgetag
Kiew, 29. Dezember
Russland antwortete prompt mit den heftigsten Luftangriffen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn - in der Hauptstadt sowie zahlreichen Städten im Osten und Westen des Landes gab es viele zivile Opfer
https://www.tagesschau...
Anders Åslund entgegnet Schmeemann, den er als großrussischen Imperialisten bezeichnet, menschenverachtend wie Putin, nur das Territorium im Kopf:
Opinion page Kyiv Post, 30. Dezember
https://www.kyivpost.c...
Danke, alles ernüchternd.
Sönke Neitzel hatte ich bisher immer sehr aufmerksam zugehört.
Seine militärhistorischen Vergleiche regen zum Nachdenken an.
Es ist aber ein großer Unterschied:
Die Ukraine kämpft allein an einer Front gegen einen wirtschaftlich übermächtigen Feind und ist dazu nur mit Hilfe von außen in der Lage.
Was an einigen Stellen störend auffiel, sind vielleicht unbeabsichtigte, dennoch unverkennbare russozentrische Aussagen.
- Die militärstrategischen Kapazitäten Russlands, so Neitzel sinngemäß, dürfe man nicht unterschätzen. Schließlich hätte ja Russland, oder "der Russe", den II. Weltkrieg gewonnen.
Die Ukrainer aber ebenfalls - nicht nur in der Sowjetarmee, auch mit ihren Partisanen - das sollte er wissen.
Für den Hörer wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie beide Kriegsparteien mit ihren Militärführungen im Vergleich aufgestellt sind, angefangen von dem dilettantischen, von purem Vernichtungswahn getriebenen Marsch auf Kiew.
- Wozu die Wiedergabe einer - zumal nicht belegten - Äußerung Putins gegenüber Scholz, das russische Volk könne einen viel höheren Leidensdruck aushalten, als die Menschen im Westen?
Geht es also um einen West-Russland-Krieg?
Die Ukraine hat bis jetzt viel gewaltigeren, das ganze Land durchdringenden, Leiden standgehalten. Und auch historisch durch den Stalinschen Golodomor und die deutsche Okkupation unvergleichlich stärker gelitten, als Großteile des russischen Hinterlands.
Ganz zu schweigen vom rein materiellen Leidensdruck der Deutschen wegen der Energiepreise etc.
Alles in allem fand ich, dass die aktive Rolle der Ukraine in dem Gespräch zu kurz kam. Die beschriebenen möglichen Szenarien lassen ein neues Jahr der Ungewissheiten erwarten.
Gegen den Russozentrismus, der in der Geschichts-, aber auch Kunst- und Kulturwissenschaft des Westens nach mehr als zwei Jahrzehnten nach Zerfall des Ostblocks nicht überwunden ist, wandte sich z.B. Karl Schlögel: https://www.fr.de/kult...
Ich habe zunehmend den Eindruck, dass D seinem eigenen moralischen und politischen Anspruch nicht gerecht wird. Warum Scholz, dieser Zögerer so handelt, erschließt sich mir nicht. Es könnte aber für die Zukunft der Demokratien zur Katastrophe auswachsen.
Aufschlussreiches Gespräch; der Vergleich des Stellungskriegs im Ersten Weltkrieg mit dem heute in der Ostukraine ist ausgezeichnet.
Ergänzend: https://internationale...