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Als ich das erste Mal davon gehört habe, dass Klaus Cäsar einen Roman schreibt, wollte ich ihn sofort lesen. Ich kannte ihn als Autor von eher kurzen und meistens sehr lustigen Geschichten, aber es gab nicht so richtig ein Buch, das man hätte anfassen können, und das die gleiche Freude am Erzählen versprochen hätte. Auf den Roman musste ich dann länger warten, als ich dachte, er hat sich nämlich Zeit gelassen beim Schreiben. Zeit, die mich nervös hat werden lassen, aber das macht nichts mehr, denn es ist ziemlich genau das Buch geworden, das ich mir erhofft hatte. So langwierig und manchmal qualvoll das Schreiben gewesen sein muss, dem fertigen Roman merkt man davon nichts an, so leicht und so geschmeidig liest er sich. Als wäre er dem Autor vor die Füße gekullert und hätte nur kurz gepellt werden müssen.
Das Genie ist ein historischer Stoff, fast ein faktualer Roman, der im Milieu der sich rasch entwickelnden amerikanischen Psychologie um 1900 spielt. Aber vor allem geht es um William Sidis, ein Wunderkind in Neuengland, das einmal für ein paar Jahre als Kuriosum die Tageszeitungen mit Material versorgt hat und auf das in der Wissenschaft allerlei Hoffnungen gesetzt wurden. Aber Moment. Das erste Drittel des Romans handelt eigentlich viel weniger von William und viel mehr von seinem Vater Boris, und für einige Zeit könnte man meinen – gäbe es da nicht den Klappentext –, dass er das Genie ist, das der Titel des Buchs anspricht. Boris ist ein Einwanderer aus dem Zarenreich mit einem Talent für alle Wissensformen. Trotz seiner tiefen, antiautoritären Abneigung gegen alles Institutionelle gelangt er damit als Psychologe zum Aufstieg im akademischen System. Sein größtes Talent ist aber wahrscheinlich das des Erklärens, und so entwickelt er, im Glauben, dass aus jedem Kind gleichermaßen ein großer Geist werden könne, ein eigenes Erziehungsmodell, die Sidis-Methode. Was da nur noch fehlt ist ein Kind, an dem man sie als Versuchsgegenstand erproben kann, und an ein Kind kommt man am einfachsten, indem man – genau – Vater wird. So kommt es also zu William.
Die Methode scheint auch Erfolg zu haben, denn William vollbringt in sehr frühen Jahren tatsächlich unglaubliche Leistungen und entwirft zum Beispiel als Kleinkind eine eigene Kunstsprache. Aber ob es bloß ein eigenartiger Zufall ist oder ob die Methode wirklich der Ursprung von Williams Genialität ist, lässt der Roman offen. Er hält sich eigentlich nicht besonders lange bei der Artistik, die Wunderkinder so an sich haben, auf, und wird bald zu einer Charakterstudie anhand des Lebenswegs einer Figur, die zum frühestmöglichen Zeitpunkt berühmt geworden und dann nie so ganz in der Welt angekommen ist.
Für William Sidis war – das ist das Schicksal der Wunderkinder – ein Weg vorgezeichnet. Er hatte alle Fähigkeiten, aber er wollte sie nie so nutzen, wie man es von ihm erwartete. So entwickelt er sich zu einem, der sich allen konventionellen Ansprüchen seiner Umwelt verweigert. Als Jugendlicher stellt er Lebensregeln für sich auf, die ihm als objektive moralische Werte gelten und die er lange Zeit mit ganzer Konsequenz durchhält. Es ist ein Versuch, das richtige Leben im falschen zu führen. Aber was macht einer mit seiner Intelligenz, wenn sie schneller läuft als der Lauf der Welt? Die Welt ist zu langsam für den schnellen Geist. Sie will einfach nicht aufhören, widersprüchlich zu sein.
Wenn man nach objektiven Regeln lebt (und nicht nach sozialen), lebt man schnell alleine. Bei allem Genie fehlt ihm das, was man heute, in einer anderen Zeit, soziale Intelligenz nennen würde. Er hat keine Fähigkeit zur Empathie, belehrt andere stetig und verhält sich nie diplomatisch, er hat kein Gespür für die eigene Wirkung und sieht nicht, wie hinter seinem Rücken Augen gerollt werden, er den Universitätsbetrieb aufhält und Kommilitonen als “fürchterlicher Erklärzwerg” gilt. Er bildet Verschrobenheiten aus, entwickelt Expertisen in Abwegigkeiten wie dem Straßenbahnwesen, wird zeitweise überzeugter Anarchist und lebt ein schmerzhaft ausgiebiges Nicht-Verhältnis zur Sexualität. Aber er verliert nie seine intellektuelle Begabung, die immer wieder von anderen bemerkt wird:
Professor Thompson liebte es, William heimlich zu beobachten. Wie er ankam in seinem verschossenen Anzug und mit seiner merkwürdigen Schweinsledertasche, außerstande, den anderen Mitarbeitern einen guten Morgen zu wünschen oder ihnen auch nur in die Augen zu sehen, wie er hinter seinem Schreibtisch hockte, mit krummem Rücken und verkniffener Miene, sich einen Packen Schreibpapier griff und in seinen Überlegungen versank; und wie er sich dann leise, leise verwandelte, wie er aufging wie eine Blüte in der Sonne, wie sich die Verspannung aus seinen Schultern löste und ein stilles Lächeln von innen sein Gesicht erleuchtete, ein Lächeln, das sich auf Professor Thompson übertrug, weil es nicht Schöneres gibt, als wenn ein Mensch tun darf, wofür er geschaffen ist[.]
Anhand solcher Passagen kann man sehen, wie in Das Genie mit der Leichtigkeit eines Humoristen erzählt wird, obwohl es als Ganzes kein komisches und kein heiteres Buch ist. Es ist ein zeitloser Tonfall, und meistens wirkt es so, als hätte das Buch egal wann geschrieben worden sein können. Denn der Stoff ist zwar historisch, aber er behandelt Themen, die nicht nur seine Zeit berühren.
Fast hätte man das Buch einen Bildungsroman nennen können, würde das Buch nicht einiges anders machen, als es für das Genre üblich ist. Der klassische Bildungsroman (und darin ist er ein Stück naiver) zeigt nicht die Vorgeschichte, die wir hier im ersten Teil des Buchs zu sehen bekommen: wie Bildung durchdacht, organisiert und festgelegt wird. Er zeigt den heranwachsenden Geist, der im Kontakt mit seiner Umwelt, durch einen Reifungsprozess, zur Entwicklung kommt. Das freie, unbeschriebene und ungeformte Individuum wächst an der Welt. William Sidis konnte von Anfang an aber schon alles, was ihm zu lernen möglich war, und wir sehen ihm immer weiter dabei zu, wie er sich nicht mehr entwickeln kann. Einer, der nicht in der Welt aufgeht, sondern immer mehr in sich lebt, seine Schrullen kultiviert und sich an Grundsätzen orientiert, die nur ihn betreffen, solipsistisch. Für seinen Vater Boris war Bildung noch als klassisches Ideal mit Aufstieg verbunden und eine Projektionsfläche für den Fortschritt der gesamten Menschheit. Wenn sie nur alle richtig lernen täten!
William Sidis ist von Anfang an zu voll und zu geformt, um noch an der Welt wachsen zu können, als ein Wunderkind in der misslichen Lage, dass schon Erwartungen an ihn gestellt werden, bevor er überhaupt wissen kann, wer er ist. Man kann ihn immer wieder dabei erleben, wie er sich aus der Gedankenstrenge hinausflüchtet in die Untätigkeit und in die reine Wahrnehmung – wie beim Straßenbahnfahren, denn was gibt es schöneres, als viele bunte Eindrücke in großer Geschwindigkeit an sich vorbeiziehen zu lassen und einfach nur zu erleben, nur zu sein, und nicht immer nur zu denken und zu denken? Dieses Buch lebt von der Diskrepanz zwischen dem Potential und der Fraglichkeit, es zu nutzen. Und ich habe lange keine Neuerscheinung mehr so gerne gelesen.
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WAS IST DIE GEDANKENSTRENGE? IST ES DAS ANGESTRENGTE ODER DAS GEREGELTE DENKEN, LOGIK. GEDACHTES MUSS SICH ZUEINANDER FÜGEN. vielleicht fügt sich zueinander ein gedankensalat? durch die seele? durch die person? aber einfach nur zu erleben, ... ist alles so schön bunt hier, ... ist das sedierte, zerstörte ende und nicht eine lösung. die schwerfällige gesellschaft müsste zum tanzen kommen, wenn ein einzelner ihr das anbietet, sie müsste wesentlich experimentell sein, und viele versuche fahren können. punktum .................................................................................................................................