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Feminismen

Frauen, Rollenbilder und Rentenpolitik – ein tolles Streitgespräch

Michael Hirsch
Philosoph und Politikwissenschaftler, freier Autor und Dozent
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Michael HirschMontag, 06.12.2021

Das ausführliche Gespräch zwischen zwei Schweizer Nationalrätinnen (Regine Sauter, DFP und Flavia Wasserfallen, SP) fand im Vorfeld einer geplanten Volksabstimmung zur Rentenpolitik statt. Zur Debatte steht die Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre. Über die Besonderheiten des Schweizer Rentensystems mit seinen "zwei Säulen" und des Schweizer politischen Systems mit Volksabstimmungen zu allen gesellschaftspolitisch wichtigen Fragen hinaus ist dieses Gespräch auch für deutsche Leser*innen von großem Interesse: Treffen hier doch modellhaft mit großer Deutlichkeit eine liberale und eine sozialdemokratische Variante von Frauen-, Gleichstellungs- und Sozialpolitik aufeinander.

Vordergründig geht es um das formale Prinzip der "Gleichbehandlung" von Frauen in der Rentenpolitik. Der Streit bietet aber Anlass, sämtliche Argumente zwischen den beiden großen politischen Lagern und Denkschulen auszutauschen. Vertritt die Liberale die Auffassung, die Gleichberechtigung der Frauen sei weit fortgeschritten und fast sämtliche Hindernisse für weibliche Chancengleichheit im Sinne von formal gleichen Chancen auf persönliche und berufliche Entwicklung von Männern und Frauen gegeben – so weist die Sozialistin gegenüber diesem rein formal und individualistisch gedachten Freiheitsbegriff darauf hin, dass die realen Bedingungen gleicher Freiheit in keiner Weise gegeben sind: Sind Frauen doch, im Rahmen der eben faktisch nach wie vor herrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, in ihrer großen Mehrheit immer noch gefangen in einer Zange aus überproportional großer Übernahme unbezahlter Sorge- und Hausarbeit, Diskriminierung am Arbeitsmarkt (wegen des Risikos langer Babypausen für Arbeitgeber, die eben statistisch gesehen eher Frauen zugerechnet werden), Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und Teilzeitfalle (Probleme beim Wiedereinstieg nach langjähriger Arbeitsunterbrechung oder Arbeitszeitverkürzung), und Rentenfalle (kürzere und geringere Einzahlung in Rentenkasse).

Die sogenannte Rentenlücke bei der zweiten Säule betrifft häufig Ehefrauen, deren Mann für das gemeinsame Haushalteinkommen sorgt, auch im Rentenalter. Diese Frauen verzichten von sich aus darauf, sich eine eigene Rente anzusparen. Kann man da von Benachteiligung reden?

Wasserfallen: Ich bestreite vehement, dass es sich um einen freiwilligen Entscheid handelt, wenn Frauen ihr Pensum reduzieren. In der Realität ist es nun einmal so, dass Frauen sich mehr um die Kinderbetreuung, den Haushalt oder um die Pflege von Angehörigen kümmern als die Männer und deshalb weniger erwerbstätig sind.

Das Gespräch entwickelt auf sehr interessante und sachliche Weise die jeweiligen Positionen und ermöglicht es, sehr genau zwischen dem "rechten" neoliberalen Elitenfeminismus auf der einen Seite (dem es genügt, wenn ein paar Frauen mehr Karriere machen), und dem sozialdemokratischen oder "linken" Feminismus auf der anderen Seite, der Chancengleichheit eben auch als sozialpolitisches Umverteilungsprojekt versteht und der von der amerikanischen Politikwissenschaftlerin daher als "Feminismus für die 99%" bezeichnet wird.

Die neue deutsche Bundesregierung zieht es, so wie es aussieht, erst einmal eher zur neoliberalen als zur sozialdemokratischen Seite hin. In diesem Beitrag kann man sehr gut sehen, welche Weltanschauung jeweils mit den Positionen verbunden ist. Es wäre zu wünschen, wir würden in unserer politischen Debatte zu einer solchen Klarheit der Argumente finden.

Frauen, Rollenbilder und Rentenpolitik – ein tolles Streitgespräch

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