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Kurator'in für: Zeit und Geschichte Fundstücke
Michaela Müller, in Dachau geboren, studierte Politikwissenschaften, Zeitgeschichte und Geschichte Asiens in Berlin. Sie schreibt über Menschenrechte, Migration und Ostafrika. Aufenthalte in Kenia, New York, Paris, Somalia und Somaliland. Bücher/Essays: Vor Lampedusa (2015), Auf See. Die Geschichte von Ayan und Samir (2016). Für piqd wählt sie Texte über die Geschichte des Holocaust, Arbeitergeschichte, Migration und Mentalitätsgeschichte aus.
In alten Lexika zu stöbern, ist eine Zeitreise. Der erste Wissenschaftler, der eine Enzyklopädie erarbeitete, war Plinius der Ältere. Der römische Historiker veröffentlichte 77 n. Chr. die Naturalis historia.
Die Aufklärung ist ohne Diderots und d’Alemberts Encyclopédie kaum vorstellbar. Natürlich waren beide Vorhaben ein Elitenprojekt. Aber besonders die Encyclopédie stellte mit ihren 72.000 Einträgen die Empirie und die wissenschaftliche Methodik über das christliche Weltbild, das damals Europa prägte.
Heute erscheint das Konzept der Enzyklopädie selbst überkommen. Vor fast 20 Jahren verkaufte ich als Buchhändlerin die vorletzte Auflage des "Brockhaus". Die Käufer abonnierten das bestrecherchierte Wissen aus allen Fachgebieten. Man bekam sie aber nicht auf einmal geliefert, sondern in alphabetisch unterteilten Häppchen: A-Diet, Dieu-Hurr, und so weiter. Wer also eine Frage zum Zebra hatte, musste zur letzten Auflage greifen oder Jahre auf die aktualisierte Antwort warten. Die letzte Auflage der deutschsprachigen Enzyklopädie erschien zwischen 2005 und 2014, hatte 24.500 Seiten und zählte 300.000 Stichwörter.
Enzyklopädien spiegelten über Jahrhunderte das Wissen der Menschheit zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder. In dem größten enzyklopädischen Projekt unserer Zeit dürfen wir alle mitmachen: Wikipedia. Das neue Konzept ist erfolgreich: Wissen wird vernetzt kollaborativ erarbeitet. Nur wer eine Zeitreise machen will, muss mit der etwas sperrigen Versionsgeschichte des Eintrags vorliebnehmen.
Enzyklopädien sind keine Zeitkapseln mehr. Sie dienen nicht mehr so sehr als Schlüssel, um ein Bild von den Menschen und ihren Blick auf die Welt zu entwickeln. Heute wird Wissen laufend aktualisiert und diskutiert - und nicht bis zur nächsten Ausgabe kanonisiert.
Quelle: Justin Nobel Bild: Kai Pfaffenbach /... EN theatlantic.com
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