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Quelle: privat
Spionin, Detektivin oder Archäologin wollte ich eigentlich werden. Dann reichte es nur zur Schriftstellerin. Zumindest kann ich seitdem meiner Passion im Recherchieren nachgehen. Bislang hielt ich mich dazu in verschiedenen Ländern, wie Portugal, Österreich, USA oder Japan auf. Mein letzter Roman "O.", eine Neuschreibung der Odyssee aus weiblicher Perspektive, ist im März 2020 erschienen. Außerdem gibt einen neuen Essayband mit dem Titel "Erfundene Heimaten". Zurzeit arbeite ich an einem Projekt, das sich mit der Darstellung von Historie in aktuellen literarischen Werken beschäftigt.
Welche Effekte ergeben sich, sobald eine Geschichte rückwärts erzählt wird? Und wie liest sich die Darstellung historischer Ereignisse, wenn eine Autorin sich entscheidet, sie gegenläufig zu verfolgen?
Inger-Maria Mahlke hat genau das mit ihrem Roman „Archipel“ versucht, der 2018 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Autorin unterläuft damit sowohl eingefahrene Lesegewohnheiten als auch bislang eingeführte Methoden, historisches Geschehen erzählerisch aufzubereiten.
In „Archipel“ wird am Beispiel einer Familie über fünf Generationen die abwechslungsreiche Geschichte Teneriffas berichtet, eines Territoriums also, das aufgrund seiner exponierten Lage vor allem geostrategisch von Bedeutung war. Sowohl die Franzosen als auch die Briten und sogar die Deutschen versuchten bereits früh, dort politisch und wirtschaftlich Fuß zu fassen. Für Spanien, zu dem es bis heute gehört, bildete die Insel einen wichtigen militärischen Stützpunkt für seine Expansionsbestrebungen im damaligen Spanisch-Sahara im Süden Marokkos. Politisch dominierend war aber, wie auch am Festland, der Bürgerkrieg und der Kampf der faschistischen Bewegung bis zur Machtübernahme General Francos, welcher bis zu seinem Tod 1975 an der Spitze einer Diktatur stand. Dann erst fand Teneriffa zu seiner derzeitigen Identität als Ferieninsel. So weit die verbürgten Fakten.
Wer nun meint, in „Archipel“ durch ein derart mit historischen Dokumenten ausgestattetes Narrativ geführt zu werden, irrt. Mahlke konzentriert sich nämlich vorwiegend auf die persönlichen Geschichten, die Wahrnehmung der Geschehnisse aus der Sicht des privaten und familiären Umfelds. Geschichtliche Ereignisse spalten sich in Episoden, in Szenen, in sinnlich-poetische Beschreibungen von Wetter, Landschaft, Kleidung, Speisen, welche es Leserinnen ermöglichen, tief einzutauchen. Die Autorin arbeitet mit historischen Kürzeln. So wird die zunehmende Fanatisierung von Großvater Lorenzo, seine Begeisterung für die faschistische Falange in einem Stück blauen Stoff repräsentiert, das er eines Tages seiner bürgerlich verwöhnten Frau mitbringt und von ihr verlangt, sie solle daraus ein Uniformhemd nähen, so wie es sich für eine echte spanische Frau gehöre. Sie kann damit nichts anfangen und gibt den als erzieherisch gedachten Auftrag an ihre Dienstbotin weiter.
Auch die totale Zerschlagung sozialistischer Strömungen im Reich Francos, welche durch Folter, Straflager und Morde erreicht wurde, stellt Mahlke anhand von Farben vor:
„Die neue Farbenlehre. Soldaten sind khaki, verwaschen blau die Falange, die Polizisten grau, Guardia Civil graugrün, die Armen staubfarben, die Pfarrer schwarz, Seminaristen chorhemdweiß, violett ist der Bischof. Rot ist niemand mehr.“
Nichts ist hier direkt erzählt, sondern alles vermittelt durch persönliche Erfahrungen. Das ist spannend, trotzdem rätselt man zwischendurch, worauf diese oder jene Szene anspielen würde, denn ohne Vorwissen lassen sich die historischen Ereignisse selten genauer erschließen. Z. B. werden Akronyme politischer Bewegungen einfach so in den Text gestreut; es gibt lediglich ein Glossar am Ende des Buches, in dem einiges, aber bei weitem nicht alles näher erläutert wird.
Opfer des brutalen Regimes samt erzkatholischer Moral werden meist die Armen, und hier vor allem die Frauen, wie Mahlke am Schicksal der Dienstbotin der Familie, zeigt. Den Frauen bleibt nur die Wahl zwischen Schufterei in der Landwirtschaft, Prostitution oder der Drecksarbeit im Dienste reicher Herrschaften. Auch ihre Töchter schaffen es nicht, sich daraus zu befreien. In der Darstellung ihrer Verhältnisse samt liebloser Kindheit und früher Schwangerschaft gelingen der Autorin genau recherchierte Szenen. Gerade in der Schilderung weiblicher Alltagspraktiken, wie Wäschewaschen, Sticken, Nähen wird die Vergangenheit deutlich spürbar. Auch indem alle Geschehnisse im Präsens erzählt werden, erzielt Mahlke in „Archipel“ immer wieder eine eindrückliche Gegenwärtigkeit.
Die einprägsamste Leseerfahrung ist jedoch der Effekt von rückwärts erzählter Geschichte. Es ist die Bewegung eines Archäologen, der tiefer und tiefer in die Schichten des Vergangenen dringt. Je weiter die Autorin in der Zeit zurückgeht, desto verwirrender wird die Lektüre. Man kommt zuweilen durcheinander, muss nachschlagen, rekonstruieren. Auf diese Weise wird aufgezeigt, wie sehr unser Denken und Vorstellungsvermögen vom Fortschreiten der Zeit geprägt ist. Ein spannendes und trotz allem lehrreiches Erlebnis.
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