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Quelle: privat
Spionin, Detektivin oder Archäologin wollte ich eigentlich werden. Dann reichte es nur zur Schriftstellerin. Zumindest kann ich seitdem meiner Passion im Recherchieren nachgehen. Bislang hielt ich mich dazu in verschiedenen Ländern, wie Portugal, Österreich, USA oder Japan auf. Mein letzter Roman "O.", eine Neuschreibung der Odyssee aus weiblicher Perspektive, ist im März 2020 erschienen. Außerdem gibt einen neuen Essayband mit dem Titel "Erfundene Heimaten". Zurzeit arbeite ich an einem Projekt, das sich mit der Darstellung von Historie in aktuellen literarischen Werken beschäftigt.
Die Berliner Varian-Fry-Straße bildet bloß ein winziges Teilstück im Gewirr von Wegen und Durchgängen am Potsdamer Platz. Immerhin werden Passanten so an den Namen eines Mannes erinnert, der Tausenden das Leben gerettet hat. Angesichts seines Muts und Durchhaltevermögens hätte es aber ruhig eine bedeutendere Straße sein können.
Fry arbeitete im Auftrag der amerikanischen Regierung von Marseille aus mit allen legalen und halblegalen Mitteln daran, möglichst viele jüdische und politische Naziflüchtlinge in Sicherheit zu bringen. Die Bedingungen waren schwierig; ständig änderten sich Visa- und Aufnahmebestimmungen der Länder, welche überhaupt noch gewillt waren, Juden hereinzulassen. Kriegshandlungen, territoriale Verschiebungen beeinträchtigten die Reisebedingungen ebenfalls. Mit fortschreitender Übernahme Frankreichs durch die Deutschen war es schließlich auf legalem Wege nicht mehr möglich, aus dem Land heraus und nach Spanien zu gelangen. Dazu kamen finanzielle Probleme, private Verwicklungen, Fehleinschätzungen, Verzweiflung. So ist es erstaunlich, wie viele der Bemühungen Frys und seiner Mitarbeiter, dennoch Erfolg hatten.
Autor Dierk Ludwig Schaaf hat sich durch die (Auto)Biographien von Geretteten und Helfern gearbeitet und präsentiert eine Fülle von Schicksalen berühmter und nicht so berühmter Menschen, die damals durch Lager, Hotels, angemietete Villen trieben, bis sie den europäischen Kontinent verlassen konnten. Bereichert durch Recherchen zu politischen und bürokratischen Voraussetzungen, sowie genaueren Angaben zu Motivationen und Vorgehensweisen der Helfenden, ergibt sich ein genaues Bild der damaligen Situation.
Wir hören von Feuchtwanger, Bréton, Mann, Benjamin, Werfel und so weiter, erfahren von einer Surrealisten-cum-Kommunisten-Wohngemeinschaft, in der auch Fry verkehrte; erfahren, wer die Tickets für die Überfahrt bezahlte, erfahren von selbstlosen unitarisch-christlichen, von jüdischen Hilfsorganisationen, von gefälschten Ausweisen und Reisegenehmigungen, erfahren von Grenzbeamten, die einmal ein Auge zudrücken, einmal streng bleiben. Kaum zu glauben, wie viel Papierkram nötig war, um ein einziges Menschenleben vor dem Lager und dem sicheren Tod zu bewahren. Portugal ist insofern bedeutsam, als es – obwohl Diktatur – nicht antisemitisch war und daher Juden erlaubte, sich für den Transit dort aufzuhalten. Außerdem spielte der portugiesische Konsul Aristide de Sousa Mendes, stationiert in Bordeaux, eine wichtige Rolle, da er Visa auch ohne Einverständnis des Diktators ausstellte, um Menschen vor Verfolgung zu bewahren.
Der Wert dieses Buches besteht auch darin, zu begreifen, wie unglaublich kompliziert es gewesen ist, sich in diesem Gestrüpp aus Vorschriften und Verboten zurechtzufinden, wie restriktiv die rettenden Nationen in Wirklichkeit waren. Der Mythos von der offenen amerikanischen Gesellschaft wurde erst Jahre später erfunden, nachdem die Verfolgten in Sicherheit waren und die wahre Dimension der Nazi-Gräuel deutlich wurde. Währenddessen gab es in den USA durchaus Hetze gegen zu viele Juden, gegen Kommunisten sowieso, Beschuldigungen wegen Gesetzesbruch und Überschreitung von Kompetenzen. Andere Länder, wie Mexiko, boten zwar Aufnahmequoten, verlangten aber hohe Gebühren, die sich ärmere Flüchtlinge nicht leisten konnten. Erst spätere Forschungen ergaben, dass die USA damals aus politischen Erwägungen nur etwa 10 Prozent der vereinbarten Quoten erfüllte. Einwanderungsfeindliche Beamte empfahlen sogar, nur ältere Flüchtlinge aufzunehmen, weil die sich nicht mehr fortpflanzen würden und so das Land nicht übervölkerten. Auf Dauer der Lektüre kommt man nicht umhin, die damalige Situation mit der heutigen zu vergleichen, mit der Diskussion um die Legalität von NGO-Rettungsschiffen im Mittelmeer etwa, oder mit dem Streit um die Aufteilung von bereits Geretteten. Die Helfer von damals jedenfalls blieben unbedankt. Fry wurde auf Befehl seiner früheren Auftraggeber abgeschoben und fristete danach in den USA ein Leben als schlecht bezahlter Lehrer. Sousa Mendes musste den diplomatischen Dienst verlassen und starb völlig verarmt.
Alles in allem ein wichtiges Buch also. Nur die Wahl des Titels ist seltsam. Es stimmt zwar, dass viele der geschilderten Flüchtlinge daran arbeiteten, irgendwann in Lissabon anzukommen, um von dort mit dem Schiff den europäischen Kontinent verlassen zu können, doch der Handlungsraum Frys befand sich hauptsächlich in Frankreich. Was genau in Lissabon während dieser Jahre stattfand, bleibt in dieser Studie weitgehend ausgespart. Aber das macht nichts.
Dierk Ludwig Schaaf: Fluchtpunkt Lissabon. Wie Helfer in Vichy-Frankreich Tausende vor Hitler retteten. Dietz-Verlag 2018
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Danke, das finde ich interessant und berührend.