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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Dieser Text liegt quer zur aktuellen Debattenlage über Kolonialismus und Restitution. Er ist am Montag als Aufmacher im Feuilleton der FAZ erschienen und steht online in der Rubrik "Debatte" (dummerweise hinter einer Bezahlschranke):
Egon Flaig, emeritierter Professor für Alte Geschichte der Universität Rostock, verdächtigt "Therapeuten, Theologen, Aktivisten und Anwälte" mit dem Schlagwort der "historischen Gerechtigkeit" einen Kampfbegriff geprägt zu haben, vor dem die Geschichtswissenschaft kapituliert habe.
Der Begriff fuße auf folgenden drei Dogmen: "Die Europäer hätten den Kolonialismus errichtet, sie hätten den Rassismus erfunden, und sie hätten die Sklaverei gebracht." Allerdings sei historische Gerechtigkeit nicht ohne historische Wahrheit zu haben, hält Flaig fest. Vier entscheidende Tatsachen würden derzeit geleugnet. Welche das sind? Das steht in seinem Text.
Flaig beschreibt auch, wie schwierig es ist, den Begriff der historischen Gerechtigkeit überhaupt präzise zu fassen. Hier ein konkretes Beispiel aus seinem Text:
Als vor wenigen Monaten das Horniman Museum in London sowie die Universitäten Oxford und Cambridge beschlossen, Kunstwerke aus Benin dem nigerianischen Staat zu übereignen, protestierte eine afroamerikanische „Restitution Study Group“: Eine solche „Repatriierung“ bereichere just die Nachfahren der Versklaver und der Sklavenverkäufer und demütige die Versklavten erneut: „Nigeria und das Königreich Benin haben sich nie für das Versklaven unserer Vorfahren entschuldigt. Sie zeigen keine Reue und erheben den Anspruch, Opfer zu sein.“
Die großen Fragen, die Flaig stellt, lauten etwa: Wie lässt sich über die Vergangenheit sinnvoll urteilen? Welche Verantwortung tragen spätere Generationen? Wie viel Schuld laden Gesellschaften auf sich, die nicht sonderlich über Moral nachdenken?
Andererseits kann man fragen: Ist es nicht auch eine historische Errungenschaft, dass wir uns ein Urteil über vergangenes Unrecht bilden können?
Ich weiß nicht, ob Flaig diese Frage nicht vielleicht sogar bejahen würde. Ihn stört jedenfalls eine "pseudoreligiöse Ideologie, wonach das Eingeständnis von Schuld einen moralischen Neubeginn bewirke". Aber gibt es solche Erlösungsfantasien wirklich?
Sein nicht ganz leichter Text wird sicher auf Widerspruch treffen, zumal Egon Flaig eine Resolution des Deutschen Historikertages 2018 kritisiert – und damit eine Vielzahl seiner Kollegen. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.
Hier gehts zur Blendle-Fassung, die dort zumindest für einige Tage abrufbar ist.
Quelle: Egon Flaig Bild: dpa www.faz.net
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Gestern war ich beim Berliner Empfang des Wissenschaftskollegs und etliche sprachen über diesen Beitrag. In der S-Bahn sah ich, dass Du ihn empfohlen hast. Hier werden wichtige Fragen gestellt. Die versuchte Verrechtlichung der Geschichte bis in die Vorzeit wird Streit, aber keine Gerechtigkeit schaffen.